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Unglück ist leichter zu erfahren als Glück

In „Das Unbehagen in der Kultur“ hält Sigmund Freud fest: „Man möchte sagen, die Absicht, dass der Mensch „glücklich“ sei, ist im Plan der „Schöpfung“ nicht enthalten. Was man im strengsten Sinne Glück heißt, entspringt der eher plötzlichen Befriedigung hoch aufgestauter Bedürfnisse und ist seiner Natur nach nur episodischen Phänomenen möglich … wir sind so eingerichtet, dass wir nur den Kontrast intensiv genießen können, den Zustand nur sehr wenig. Somit sind unsere Glücksmöglichkeiten schon durch unsere Konstitution beschränkt. Weit weniger Schwierigkeiten hat es, Unglück zu erfahren.“ Stuart Jeffries weiß: „Marcuse feilte diese freudschen Gedanken in marxistischen Begriffen aus, indem er nahelegte, dass es eine grundlegende und eine überschüssige Unterdrückung geben müsste – erstere ist notwendig für Kultur, letztere ist ein Herrschaftsinstrument der fortgeschrittenen Industriegesellschaft.“ Stuart Jeffries arbeitete zwanzig Jahre für den „Guardian“, die „Financial Times“ und „Psychologies“.

Die Sublimierung in der Kunst steht der Ordnung fremd gegenüber

Sublimierung hingegen ist nicht so sehr die Abschiebung von Trieben ins Unbewusste, sondern ihre Umlenkung in andere Aktivitäten, die für die Kultur angeblich wertvoll sind. In „Das Unbehagen in der Kultur“, dem Buch, das Herbert Marcuses Überlegungen in „Eros und Civilisation“ und „Der eindimensionale Mensch“ befeuerte, bemerkt Sigmund Freud über Sublimierung: „Sie macht es möglich, dass höhere psychische Tätigkeiten, wissenschaftliche, künstlerische, ideologische, eine so bedeutende Rolle im Kulturleben spielen.“

Stuart Jeffries stellt fest: „Herbert Marcuses radikaler Zugriff auf Sigmund Freuds Gedanken besteht darin, dass solche Sublimierung in der Kunst, dem Gebiet menschlicher Aktivität, dem er in „Der eindimensionale Mensch“ die größte Aufmerksamkeit widmet, nicht nur eine gesellschaftlich anerkannte Möglichkeit ist, libidinöse Triebe zum Ausdruck zu bringen, nicht nur eine Art psychisches Sicherheitsventil, das ein besseres Funktionieren der existierenden Ordnung garantiert, sondern dass es darüber hinaus dieser Ordnung fremd gegenübersteht.“

Die Dichtung erschafft einen imaginären Raum

Dennoch bedroht so verstandene Kunst die Ordnung nicht. Für Herbert Marcuse stellte der Künstler, zumindest der große Künstler, ein unglückliches Bewusstsein dar, das Zeugnis für vereitelte Möglichkeiten ablegt, für unerfüllte Hoffnungen und verratene Versprechungen. Stuart Jeffries erklärt: „Was Marcuse ganz ungeniert als „höhere Kultur“ bezeichnet, existiert als eine Art inoffiziellen Opposition zur bestehenden Ordnung – eine Mahnung für die Realität und ihre Widerlegung.“

Herbert Marcuse schreibt: „Die beiden antagonistischen Sphären der Gesellschaft haben immer nebeneinander bestanden; die höhere Kultur passte sich stets an, während die Wirklichkeit durch ihre Ideale und ihre Wahrheit selten gestört wurde.“ Marcuse scheint sich die höhere, zweidimensionale Kultur und ihr Funktionieren als eine Art halb autonomen Bereich vorzustellen, denn eine ernsthafte Bedrohung der herrschenden Wirklichkeit ist sie nicht. Insofern hat Wystan Hugh Auden recht: Dichtung verändert nichts, sie erschafft vielmehr einen imaginären Raum, in dem die Wirklichkeit als das gesehen werden kann, was sie ist, wo sie fiktiv angeklagt und fiktiv bestraft werden kann. Quelle: „Grand Hotel Abgrund“ von Stuart Jeffries

Von Hans Klumbies

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