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Sigmund Freud definiert den Eros

Herbert Marcuses repressionsfreie libidinöse Revolution kann nicht ganz ohne Arbeit zustande kommen. Immerhin hat Sigmund Freud Eros als das Streben definiert, „die Substanz zu immer größeren Einheiten zu formen, auf das das Leben verlängert und auf eine höhere Entwicklungsstufe gebracht werden kann“. Das hört sich nach Arbeit an, und Herbert Marcuse erkennt das auch durchaus an. Stuart Jeffries erklärt: „Die Freisetzung des Lustprinzips, die er vorschlägt, würde zwar die Art der Arbeit verändern, aber es ist und bleibt doch Arbeit.“ Herbert Marcuse schreibt: „Das erotische Ziel, den gesamten Körper als Subjekt / Objekt der Lust zu erhalten, verlangt eine kontinuierliche Revolution des Organismus.“ Was Herbert Marcuse als kontinuierliche Revolution bezeichnet, klingt stark nach Sisyphusarbeit. Stuart Jeffries arbeitete zwanzig Jahre für den „Guardian“, die „Financial Times“ und „Psychologies“.

Der Mensch muss sich mit der Natur wiedervereinigen

Entscheidend ist jedoch, dass diese Arbeit eben keine entfremdete, repressive Arbeit ist, die das Leistungsprinzip aufrechterhält. Sondern sie ähnelt eher der Arbeit von zwei anderen klassischen mythologischen Gestalten, die Herbert Marcuse anführt: Orpheus und Narziss. Orpheus widersetzt sich repressiver Sexualität und sucht die Vereinigung mit dem Objekt seines Begehrens, während Narziss erotische Impulse hat, die seine gesamte Persönlichkeit durchfluten.

Herbert Marcuse befindet auch als bemerkenswert, dass Narziss nicht von der Natur getrennt, sondern Teil von ihr sei und es als lustvoll empfinde, sich in ihr gespiegelt zu sehen. Dieser Teil von Marcuses Analyse hat einen klaren Bezug zu Theodor W. Adornos und Max Horkheimers Kritik an der Ausbeutung der Natur in der „Dialektik der Aufklärung“. Für alle drei musste jede wünschbare Veränderung mit einer Wiedervereinigung der Menschen mit der Natur einhergehen. Die Natur sollte nicht länger, wie es seit Francis Bacon geschah, lediglich als zu beherrschende und auszubeutende Sphäre verstanden werden.

Eine nichtrepressive Gesellschaft ist möglich

Orpheus und Narziss waren für Herbert Marcuse „Urbilder der Großen Weigerung“, der Weigerung, die Trennung vom libidinösen Objekt oder Subjekt zu ertragen. Stuart Jeffries erläutert: „Die Weigerung zielte auf Befreiung ab – auf die Wiedervereinigung dessen, was getrennt wurde. Eros war vom Logos abgeschnitten und unterworfen worden. Die Menschheit hatte sich von der Natur getrennt und sie unter ihre Herrschaft gebracht.“ Die Arten der Wiedervereinigung, die Herbert Marcuse anstrebte, waren natürlich mit Arbeit verbunden.

Allerdings mit der Art von selbstverwirklichender Arbeit, die Erich Fromm in seinem Buch „Marx’s Concept of Man“ aus dem Jahr 1961 beschreibt. Mit seinem Werk „Eros und Kultur“ dachte Herbert Marcuse den Marxismus neu. Für ihn stellte sich im Jahr 1955 die Geschichte aller bislang existierenden Gesellschaften nicht lediglich als Geschichte von Klassenkämpfen dar. Es war auch ein Kampf um die Unterdrückung der menschlichen Triebe. Im Unterschied zu Horkheimers und Adornos Philosophie war diejenige von Marcuse jedoch optimistisch. Denn er ging davon aus, dass eine nichtrepressive Gesellschaft möglich war und dass „eine neue grundlegende Daseinserfahrung die menschliche Existenz in ihrer Ganzheit verändern wird.“ Quelle: „Hotel Abgrund“ von Stuart Jeffries

Von Hans Klumbies

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