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„Auge um Auge – Zahn um Zahn“

Das Talionsprinzip oder „ius talionis“, kurz auch „Talion“ genannt, ist ein Rechtsgrundsatz, nach welchem zwischen dem vom Opfer erlittenen Schaden und jenem, der dem Täter als Strafe zugefügt wird, ein Gleichgewicht hergestellt werden soll, ganz nach dem alttestamentarischen Motto „Auge um Auge – Zahn um Zahn“. Reinhard Haller weiß: „Der Grundsatz des Eintreibens eines gleichartigen Ausgleichs lässt sich geschichtlich weit zurückverfolgen.“ Als erster Beleg gelten die Worte in der Sammlung von Rechtssätzen des sumerischen Königs Ur-Nammu (2112 – 2095 v. Chr.): „Wenn ein Mann einen Mord begangen hat, soll besagter Mann getötet werden.“ Es geht also um Vergeltung im Sinne eines Ausgleichs, ganz nach dem Prinzip „wie du mir – so ich dir“. Prof. Dr. med. Reinhard Haller war als Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe über viele Jahre Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik. Heute führt er eine fachärztliche Praxis in Feldkirch (Österreich).

Das Prinzip der identischen Vergeltung zieht sich durch die Geschichte

Das sogenannte „Auge um Auge“ findet sich in der zwischen 1000 bis 500 v. Chr. entstandenen Tora, im 2. Buch Mose: „Entsteht ein dauernder Schaden, so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Wunde um Wunde, Beule um Beule.“ Das Prinzip der identischen Vergeltung zieht sich durch die Geschichte und findet sich zum Beispiel im römischen Tafelgesetz (451 v. Chr.). Reinhard Haller erklärt: „Das Talionsprinzip kommt nur bei Konflikten zwischen Menschen zur Anwendung, nicht bei kultischen Vergehen, da dort die Rache den göttlichen Instanzen überlassen wird.“

Auch muss es sich immer um vorsätzliche Taten handeln, während Fahrlässigkeit mit Sachleistungen gesühnt werden können. So heißt es schon im Codex Hammurapi, einer babylonischen Sammlung von Rechtsprüchen aus dem 18. Jahrhundert v. Chr. : „Wenn ein Bürger die Tochter eines Bürgers schlägt und dabei eine Fehlgeburt verursacht, so soll er zehn Schequel Silber für die Leibesfrucht zahlen.“ Reinhard Haller blickt zurück: „In früheren Kulturen konnte sich die scheinbar ausgleichende Rache auch auf die Sippe beziehen.“

Das Talionsprinzip gilt heute als verpönt

Dem trat die wahrscheinlich im 5. Jahrhundert v. Chr. verfasste Tora entgegen, um jegliche Fortsetzung und Ausdehnung der Rache zu unterbinden: „Es sollen nicht Väter für die Söhne und nicht Söhne für die Väter getötet werden“ oder „Jeder soll nur für seine eigene Verfehlung getötet werden.“ Jesus stellt in der Bergpredigt gleichsam eine Antithese zum ius Talionis: „Wenn jemand dich auf deine rechte Backe schlagen wird, dann biete auch die andere dar … .“

Damit eröffnet er eine Rache-Alternative, nämlich die Möglichkeit des Vergebens. Reinhard Haller erläutert: „Zwar wurde das Talionsprinzip in den meisten Gesellschaften abgeschafft und gilt heute als verpönt. Viele Rechts- und Kulturforscher vertreten allerdings die Meinung, hinter dem Talionsprinzip stehe die Absicht, überschießende Racheakte zu verhindern und die früher weitverbreitete Blutrache einzudämmen.“ Durch das Prinzip der gleichzeitigen Vergebung sollt die überdimensionale Rache unterbunden werden. Quelle: „Rache“ von Reinhard Haller

Von Hans Klumbies

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