Allgemein 

Kinder brauchen die Liebe der Eltern

Bekanntermaßen sind es im Märchen immer die Stiefmütter, welche die Kinder ihres Gatten vernachlässigen – Aschenputtel – oder morden wollen – Schneewittchen. Peter Trawny weiß: „Psychologisch ist die Sache klar: Die Kinderlosigkeit ist das eigentliche Trauma. Der Geliebte hat das Kind mit einer anderen.“ Der Mann und die Stiefmutter, die Hänsel und Gretel in den Wald führen, sind ein Beweis, dass die Liebe der Eltern zu ihren Kindern ein mitunter dünnes Eis sein kann. In dem Märchen liefert Armut einen nicht ganz unverständlichen Grund, das Geschwisterpaar aussetzen zu wollen. Doch auch ohne Notlage gibt es genügend Anzeichen, dass an die Stelle der Liebe bei Eltern Hass und Gewalt treten können. Peter Trawny gründete 2012 das Matin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, dessen Leitung er seitdem innehat.

Kindheit und Elternschaft ist oftmals ein Drama

Es gibt offenbar keine „natürliche“ Liebe der Mutter. Die Mutter kann sich wie Medea, als Mörderin erweisen. Dass es zwischen Eltern und Kindern nicht „natürlich“ zugeht, dürfte überhaupt die Voraussetzung der Psychoanalyse sein. Das Drama der Kindheit und der Elternschaft scheint unvermeidlich zu sein. Und es gibt in dieser Kluft von Anfang an keine Symmetrie. Die Kinderliebe entspricht der Liebe der Eltern nicht. Die Stiefmutter, die Hänsel und Gretel in den Wald bringen will, kann auf das Vertrauen der Kinder setzen, zumal der Vater sie bei ihrem Plan unterstützt.

Nur durch Zufall hören die beiden, was die Eltern vorhaben und können sich so dem Plan zunächst widersetzen. Peter Trawny betont: „Kinder sind bedürftig, sie brauchen die Liebe der Eltern, um sich zu entwickeln. Daher ist ihre Liebe rückhaltlos, absolut. Dass sie bedürftig, das heißt nicht frei ist, tut nichts zur Sache. Denn keine Liebe ist frei.“ Sich von einem Kind geliebt zu sehen ist eine Lebenserfahrung eigenen Charakters. Sie ist in ihrem Vertrauen ungebrochen, über alle Differenzen hinweg stabil.

In jeder Liebe spielt eine gewisse Bedürftigkeit mit

Es gehört zum Erwachsenenwerden, Bedürftigkeit in späteren Liebesverhältnissen anders auszuagieren. Trotzdem bleibt die Frage, ob nicht in jeder Liebe eine gewisse Bedürftigkeit mitspielt, die einen Menschen an die Kinder erinnert. Aber diese Bedürftigkeit ist keine Regression, sondern das Echo einer Aussetzung in der Welt. Peter Trawny erklärt: „Wir alle sind bis ganz zuletzt ein wenig wie Hänsel und Gretel.“ „… denn die Musik ist ein Weib …“, sagt Friedrich Nietzsche.

Warum ist sie das? Gehört der Philosoph zu jenem Typ von Männern, die alles, was sie nicht verstehen, dem anderen Geschlecht in die Schuhe schieben? Mag sein. Doch es bleibt schwierig, denn Friedrich Nietzsche denkt an Richard Wagner, an dessen „nicht unzweideutige“ Musik. Das findet er weiblich. Ist dann Wagner nicht dieses „Weib“? Für Nietzsche war jede Musik „zweideutig“. Im Sinne der Zweideutigkeit des Geschlechts aber war die zweideutigste, die Wagner jemals komponierte „Tristan und Isolde“. Quelle: „Philosophie der Liebe“ von Peter Trawny

Von Hans Klumbies

Related posts

Leave a Comment