Erich Fromm ruft zur Selbstbefreiung auf
Michaela Brohm-Badry weiß: „Bei jeder spontanen Tätigkeit stärkt ein Mensch sein Selbst. Denn das Selbst ist stark genau in dem Maße, wie es aktiv tätig ist.“ Doch manchmal fällt es nicht so leicht, aktiv tätig zu sein. Hilfreich ist dabei ein hohes Maß an innerer und äußerer Freiheit. „Ich glaube“, schreibt Erich Fromm, „dass man erst frei von seinen inneren und/oder äußeren Bindungen sein muss, um frei zu etwas sein zu können: zu schöpferischem, gestaltendem Tun, zu mehr Erkenntnis usw. Erst dann ist man fähig, ein freies tätiges, verantwortliches Wesen zu sein.“ Fast ist das ein Aufruf zur Selbstbefreiung. Prof. Dr. Michaela Brohm-Badry ist Professorin für Lernforschung. Sie war langjährige Dekanin des Fachbereichs Erziehungs- und Bildungswissenschaften, Philosophie und Psychologie an der Universität Trier.
Hier und Heute spielt sich das Leben ab
Der Humanist Erich Fromm versteht den wachsenden Menschen als aktiv handelnden Menschen. Michaela Brohm-Badry erklärt: „Und zwar geht es um ein Handeln nicht im Sinne des reinen Selbstzwecks – um irgendetwas zu tun –, auch nicht als entfremdeter Arbeitslohnerwerb, sondern um eine viel innigere Aktivitätsform: um ein Handeln im Sinne der Verwirklichung des Selbst.“ Lebendig fühlt man sich nach Erich Fromm, wenn man Körper, Geist und Seele nicht durch fremden Druck, sondern entsprechend dem eigenen Ich aktiviert.
Wenn dies geschieht, wachsen Glück, Lebensbejahung und Gesundheit, wenn nicht, wachsen Destruktion, Aggression und Depression. Michaela Brohm-Badry betont: „Letztendlich ist der Weg des aktiven Lebens auch der Ratschlag das Leben am Schopfe zu fassen, mit einem liebenden Herzen zu leben und den inneren Impulsen mehr Vertrauen zu schenken als äußerem Druck.“ Wenn nicht jetzt, wann dann? Hier und Heute spielt sich das Leben ab. Denn das Wesen des Lebens ist flüchtig.
Ein Mensch verändert sich permanent über seine gesamte Lebensspanne
Tief im Innersten des Menschen verborgen liegen Begabungen, Fähigkeiten, Wünsche, Sehnsüchte und Ideen, die gelebt werden könnten oder gar danach drängen, ausgelebt zu werden. Michaela Brohm-Badry stellt fest: „Es könnte ein ungeheure Bereicherung für unser Leben sein, diese neuen Möglichkeiten des Denkens, Fühlen und Handelns zu entdecken und zu leben.“ Und zwar im Sinne des Søren Kierkegaard zugeschriebenen Aphorismus: „Der, der wagt, verliert den Halt für einige Zeit, der, der nichts wagt, verliert sich selbst.“
Drei Faktoren bestimmen, was aus einem Menschen wird: seine genetischen Anlagen, sein Umfeld und seine individuellen Entscheidungen. Michaela Brohm-Badry erläutert: „Wir leben also nur einen Entwicklungsverlauf unter vielen anderen möglichen. Es hätte auch ganz anders kommen können.“ Aktuelle Befunde der Lernforschung zeigen, dass die Persönlichkeit eines Menschen über die gesamte Lebensspanne plastisch bleibt, was bedeutet, dass man sich bis in das späte Erwachsenenalter permanent verändert und neue Denk- und Handlungsweisen erlernt. Quelle: „Aufbrechen“ von Michaela Brohm-Badry
Von Hans Klumbies