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Vertrauen kann man nicht kalkulieren

Es ist für einen Menschen sinnvoll, all das Vertrauen zu wollen, das man von ihm will. Es überfordert ihn nicht, so viel Vertrauen zu schenken. Aber sollte man den Vertrauensbegriff wirklich so breit verwenden? Die Philosophie macht die Dinge gerne kompliziert und antwortet: ja und nein. Martin Hartmann fängt mit dem Ja an: „Ja, weil wir das Gegenteil von Vertrauen selbst erlebt haben oder genug darüber wissen, um es ernst zu nehmen. Fehlendes Vertrauen verändert unser Leben in jeder Hinsicht.“ Irgendeine tiefere Bedeutung muss es doch haben, wenn viele Menschen ständig vom Vertrauen reden. Vielleicht hat sich etwas in unserem Leben verändert, vielleicht sind ganz viele Sicherheiten und Gewissheiten weggebrochen. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

Nach der Kalkulation beginnt das Vertrauen

Im Jahr 1986 veröffentlichet Ulrich Beck seine berühmte Studie zur „Risikogesellschaft“ und schien schon im Titel auf ähnliches zu zielen. Ist aber die Kategorie des Risikos unserer Zeit noch angemessen? Risiken lassen sich kalkulieren, ihr Eintreten ist, anders als bei prinzipieller Ungewissheit, auf berechenbare Weise mehr oder weniger wahrscheinlich. Vertrauen dagegen kann man nicht kalkulieren. Wie der Risikokalkulation fehlt ihm zwar auch die absolute Gewissheit.

Aber das, worauf man vertraut, scheint nicht angemessen beschrieben, wenn es heißt, sein Eintreten oder Unterbleiben sei mehr oder weniger wahrscheinlich. Risiken kann man kalkulieren, Vertrauen nicht. Der Aufstieg des Vertrauens könnte etwas mit dem Ende der Kalkulierbarkeit und dem Anwachsen genuiner Unsicherheit zu tun haben. Und das heißt: mit dem Ende der Risikogesellschaft. Wo die Kalkulation aufhört, beginnt das Vertrauen, so könnte man sagen, das Vertrauen aber ist die Kategorie der Postrisikogesellschaft.

„Dem Chaos kann man nicht vertrauen“

Man könnte sagen, dass prinzipielle Ungewissheit eher Vertrauen erfordert als Risikokalkulation. Sie erfordert Instanzen, die einem dabei helfen können, mit der Ungewissheit umzugehen, da sie gleichsam näher an den Dingen dran sind, um die es jeweils geht. Somit können sie helfen, Ungewissheit ein wenig zu vertreiben. Das aber heißt, dass die Menschen durch das Anwachsen von Ungewissheit und Unsicherheit in vielerlei Hinsicht deutlich verletzlicher geworden sind.

Wie sagte der deutsche Soziologe und Gesellschaftskritiker Niklas Luhmann so schön: „Dem Chaos kann man nicht vertrauen“, Vertrauen setzt Strukturen voraus und festigt diese gleichzeitig. Martin Hartmann fügt hinzu: „Wächst das Chaos aber, dann verwandelt sich das Vertrauen in das Pfeifen im Walde und gewinnt eine gewisse Naivität. Naives Vertrauen aber ist gefährlich, weil es Wachsamkeit, Vorsicht und Umsicht verringert.“ Viele Menschen sind sich leider des Vertrauens nicht mehr sicher, auf das sie zugleich immer mehr angewiesen zu sein scheinen. Quelle: „Vertrauen“ von Martin Hartmann

Von Hans Klumbies

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