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Sinnvolle Erziehung führt zur Selbstreflexion

Nach dem Zweiten Weltkrieg analysierte Theodor W. Adorno die möglichen Ursachen für die aktuelle Situation sowie für die Tragödie, die Europa erschüttert hatte. Dazu beschäftigte er sich mit dem wichtigsten Bereich des öffentlichen Lebens seiner Zeit: mit der Erziehung. Theodor W. Adorno hatte lange über die Widersprüche der modernen Gesellschaft und die Gefahren einer invasiven und zerstörerischen Massenkultur nachgedacht. Isabella Guanzini erläutert: „Die Erziehung – verstanden im weitesten Sinne von der Schule bis zu den Massenmedien – sah er als ein wichtiges Instrument für eine allmähliche und wirksame Veränderung der gesellschaftlichen Beziehungen.“ Denn nur durch Erziehung sei es seiner Meinung nach möglich, den wachsenden Konformismus und sektiererischen Identitätszwang entgegenzuwirken. Konkret braucht es ein neues Bewusstsein und eine neue Sensibilität für die Bedingungen des Fühlens. Isabella Guanzini ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Universität Graz.

Eine totalitäre Weltsicht erfordert zwingend Widerstand

Die alles durchdringende Vorstellungswelt der konformistischen Gesellschaft steht seiner Meinung nach allen Formen des Fundamentalismus offen. Indem sie sich als alleinige Weltsicht darstellt, schwächt sie den Willen der Einzelnen und manipuliert die Wahrnehmung von Alternativen. Darum ist es wichtig, das Fühlen wieder zu lernen, um die Welt neu zu sehen und auf neue Weise in ihr leben zu können. In einer seiner letzten Schriften „Erziehung nach Auschwitz“, entwickelt Theodor W. Adorno Gedanken, die dazu beitragen sollen, dass sich die von der europäischen Zivilisation hervorgebrachte Barbarei nicht wiederholt.

Er ist überzeugt, dass die Bedingungen, die vergleichbare Tragödien der Menschheit möglich machen in den verschiedensten Gesellschaften nach wie vor potentiell präsent und wirksam sind: „Solcher Besinnungslosigkeit ist entgegenzuarbeiten. Die Menschen sind davon abzubringen, ohne Reflexion auf sich selbst nach außen zu schlagen. Erziehung wäre sinnvoll überhaupt nur als eine zur kritischen Selbstreflexion.“ Die wichtigsten Elemente des Widerstands gegen jegliche totalitäre und antihumanistische Weltsicht sind Immanuel Kants Imperativ der subjektiven Autonomie.

Theodor W. Adorno analysiert die Gefühlsbildung

Der Widerstand beinhaltet das Prinzip der Selbstbestimmung des Einzelnen, das sich jeder Form von Unterwerfung oder Konformismus widersetzt. Isabella Guanzini weiß: „Dieses pädagogische Projekt hat jedoch nicht ausschließlich die kognitive Sphäre im Blick, sondern vor allem die der Gefühle.“ Denn Theodor W. Adornos Analyse konzentriert sich auf die Gefühlsbildung seiner Zeit. Diese beruhte auf einem bestimmten Ideal von Männlichkeit, Kälte und Zähigkeit sowie dem Aushalten von Anstrengung und Schmerz.

Dies hielt man für die wichtigsten Prinzipien einer zeitgemäßen Pädagogik. Dahinter zeichnet sich ein pädagogisches Modell ab, das danach strebt, die Muskelkraft des Ich zu stärken. Dies geschah mit Hilfe der imaginären Maske einer angeblichen subjektiven Autonomie. Diese kann Schmerz aushalten und so ein Zeichen ihrer emotionalen Reife und Stabilität setzen. Die herrschende Ideologie im damaligen Deutschland verfolgte also eine Erziehung zu Härte und Unempfindlichkeit. Quelle: „Zärtlichkeit“ von Isabella Guanzini

Von Hans Klumbies

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