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Durch die Arbeit wächst das Selbst

Die Arbeit ist dem menschlichen Selbst in ganz besonderer Weise verbunden. Joachim Bauer konkretisiert: „Sie bietet ihm Möglichkeiten des Selbst-Wachstums und der Selbst-Erweiterung.“ Das Selbst lebt davon und kann sich nur erhalten, wenn es interpersonelle oder soziale Resonanz erfährt. Daher ist es verständlich, dass Menschen nicht nur für die eigene Person per se nach Akzeptanz suchen, sondern ihrer auch für das bedürfen, was sie im Rahmen ihrer Arbeit tun. Denn der Mensch erlebt das, was er in der Arbeit tut, als einen Teil seines Selbst. Er erwartet deshalb, dass seine Arbeit sowohl bei denjenigen, für die er tätig ist, als auch denen, mit denen er arbeitet, Resonanz auslöst. Er möchte von seinem sozialen Umfeld gesehen und mit Wertschätzung bedacht werden. Joachim Bauer ist Arzt, Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Bestsellerautor von Sachbüchern.

Sinnlose Arbeit führt zur Entfremdung

Joachim Bauer stellt fest: „Die Anerkennung für das geleistete Werk überträgt sich also auf den Schöpfer und löst dort biologische Prozesse aus.“ Das Gehirn beantwortet soziale Wertschätzung mit einer Aktivierung der Motivations- und Belohnungssysteme. Es verwandelt soziale Erfahrungen in biologische Antwortreaktionen. Aktivierte Motivations- oder Belohnungssysteme produzieren Botenstoffe, ohne die es zu einem alsbaldigen Zusammenbruch der Arbeitskraft kommen würde.

Damit schließt sich ein Funktionskreis zwischen Selbst, Arbeit, sozialer Resonanz und der biologischen Situation im Körper des Selbst-Besitzers. Wo die Art der Arbeit so beschaffen ist, dass sich der Kreis nicht schließt, wo Menschen ihr Tun als sinnlos und nicht wertgeschätzt erleben, entsteht eine Situation, die als Entfremdung erlebt wird. Auch keine Arbeit zu haben, kann Entfremdung bedeuten. Die Arbeit ist für den Menschen – unabhängig davon, ob er körperlich, geistig, sozial oder künstlerisch tätig ist – eine unersetzliche Ressource des Selbstwerts.

Die Arbeit wird nicht ausgehen

Auch dann, wenn die Arbeit einem Menschen viel abfordert, lässt sie ihn Nützlichkeit, Sinn und Zugehörigkeit erleben. Sie rhythmisiert das Leben, vor allem aber vitalisiert sie das Selbst, sie ist Selbstverwirklichung. Vor diesem Hintergrund steht Joachim Bauer dem leistungslosen Grundeinkommen skeptisch gegenüber. Denn er befürchtet, dass man damit einen Teil der Bevölkerung, vor allem bildungsferne Menschen, vom Arbeitsprozess abkoppelt, anstatt alle Mitglieder der Gesellschaft an sinnvoller Arbeit partizipieren zu lassen.

Die seit Beginn der Automatisierung immer wieder recycelte Vorhersage, dass die Arbeit ausgehen wird, hält Joachim Bauer – auch angesichts der Digitalisierung der Welt – für falsch. Der durch die Arbeit ermöglichte Zugewinn an Selbstwert bietet dem Selbst einerseits einen gewaltigen Möglichkeitsraum, dieser ist andererseits auch eine Falle. Manche Menschen, die in sich einen Mangel an Selbst fühlen und mit sich nichts anfangen können, entdecken die Arbeit als Selbst-Ersatz und sind in Gefahr sich an sie zu verlieren. Quelle: Wie wir werden, wer wir sind“ von Joachim Bauer

Von Hans Klumbies

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