Helmut Reuter stellt Menschenbilder in der Psychologie vor
Jede Epoche und jede Zeit hat bestimmte Vorstellungen davon, was der Mensch ist. In der Geschichte der Menschheit sind diese Vorstellungen in der Regel religiös begründet und stehen in engem Zusammenhang mit Regeln und Vorschriften, nach denen das persönliche und gesellschaftliche Leben zu gestalten ist. Helmut Reuter fügt hinzu: „Ein Teil dieser Regeln ist implizit, Alltagswissen, dass sich zur Bewältigung der Lebensprobleme bewährt hat, ein anderer Teil ist kodifiziert und steht in der Deutungshoheit bestimmter Gruppen (Priester, Herrscher und Gelehrte).“ Es gab Zeiträume mit langen Phasen ziemlich stabiler Auffassungen vom Menschen und solche, in denen die Grundüberzeugungen sich schneller veränderten. Was den Wandel der Auffassungen betrifft, hat die Gegenwart wohl eine in der Geschichte noch nicht gekannte Dynamik entwickelt. Helmut Reuter ist seit 2004 Professor am Institut für Psychologie und Kognitionsforschung (IPK) der Universität Bremen.
Menschenbilder sind in der Psychologie keine Glaubensfragen
Heute ist die Verwaltung des Menschenbildes nicht mehr eindeutig geklärt. Sie war zwar schon früher ein Gegenstand des Streits, aber laut Helmut Reuter eng durch die jeweiligen Machtverhältnisse definiert: „Wer die militärische Macht hinter sich wusste oder die Führerschaft in Glaubensdingen oder am besten beides, bestimmte, wie der Mensch zu sehen sei.“ Menschenbilder, wie sie die Wissenschaft Psychologie vermittelt, sind heute keine Glaubensfragen oder Verneinungen, sondern Produkte mit kalkulierten Marktchancen.
Helmut Reuter nennt ein Beispiel: „Derzeit steht die Auffassung vom Menschen als Gehirnwesen hoch im Kurs, die Vorstellung des Menschen als eine Lernmaschine hat jedoch keine Chance auf Abnehmer oder Sympathisanten mehr.“ Seine Bestimmung durch biologische Prozesse verändert das Verständnis vom autonomen, mündigen Schöpfer seiner eigenen Biographie und so fort. Aber allemal bleiben diese Bilder Konstrukte, was nicht durch ihren ständigen Wandel unterstrichen wird. Die Psychologiegeschichte hat in diesem Punkt zwei Aufgaben: Erstens gilt es festzustellen, dass die Forschung keine Auskunft über den Menschen gibt und zweitens ist nach den verborgenen Motiven für solche Menschenbilder zu fragen.
Die Schuld ist ein menschliches Konstrukt
Erlösungsreligionen wie das Christentum oder das Judentum konstruierten und etablierten den Begriff der Schuld, weil sonst ihr Konzept nicht funktionieren würde. Hier gilt: Wer die Macht zur Erlösung hat, hat die Macht über die Menschen. Dass Schuld ein Konstrukt ist, belegen Kulturen auf globaler Ebene, bei denen sie eher am Rande bewertet wird. Historisch gesehen ist die selbstständige akademische Psychologie, deren Anfang in der Regel mit der Gründung von Wundts Leipziger Laboratorium gleichgesetzt wird, ein legitimer Erbe geisteswissenschaftlicher Fächer.
Die prominentesten Rollen spielen dabei die Philosophie und die Theologie. In diesen beiden wissenschaftlichen Disziplinen geht es zum Beispiel um Fragen, welchen Gesetzmäßigkeiten normales und abnormales Seelenleben folgt. Ebenso wird ein Verständnis dafür gesucht, was dem Menschen als Persönlichkeit gegenübertritt und welchen Regeln das menschliche Miteinander folgt. Helmut Reuter ergänzt: „Daraus werden weitere Fragen nach dem, was sein sollte, also nach der Orientierung gemäß den Werten und Maßstäben des Handelns, abgeleitet.
Von Hans Klumbies