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Menschen fürchten die soziale Ausgrenzung

Die zuständigen Hirnbereiche für Schmerz bei körperlicher Verletzung und jene für Schmerz bei sozialer Ausgrenzung sind nahezu identisch, wie funktionelle MRT-Untersuchungen sichtbar machen. Menschen waren von Natur aus niemals als Einzelwesen gedacht, sondern konnten nur in der Gemeinschaft in sicherer Verbindung mit anderen überleben, beweisen Bindungsforscher wie Henri Julius. Helga Kernstock-Redl stellt fest: „Die Beachtung sozialer Spielregeln und die Angst vor sozialer Ausgrenzung haben wir also in den Genen, auch wenn wir es als Erwachsene durchaus allein gut aushalten können.“ Um Schuldgefühle zu verstehen, ist es besonders spannend zu wissen, dass in der „Gehirn-Hardware“ Spiegelneuronen für den Sozialkontakt fix einprogrammiert sind. Diese wurden erstmals bei Primaten entdeckt. Helga Kernstock-Redl ist Psychologin und Psychotherapeutin. Sie beschäftigt sich vor allem mit der Psychologie der Gefühlswelt.

Die Basis-Empathie entwickelt sich zum Mitgefühl

Empathie nennt die Forschung die Fähigkeit zu fühlen, was andere fühlen, und das beobachtete Verhalten anderer intuitiv zu verstehen. Tiere können sich dagegen gar nicht wehren. Auch Menschen tragen diese Basis-Empathie in sich. Helga Kernstock-Redl erklärt: „Ergriffen von Basis-Empathie verlieren wir für den Moment das eigene Gefühl.“ Es sind wohl die Sprache und das Großhirn, die Menschen später helfen, diese Basis-Empathie noch viel konstruktiver zu nutzen und zum Mitgefühl weiterzuentwickeln.

Ein Mensch wendet sich dann empathisch-freundlich einem anderen zu, doch behält er daneben sein eigenes Gefühl. Später kann man, darauf aufbauend, die Fähigkeit des „Mentalisierens“ erwerben, ein von der Bindungsforschung rund um die Psychoanalytiker Peter Fonagy und Mary Target geprägter Begriff. Damit ist die Fähigkeit gemeint, sich selbst und andere zu beruhigen und vor emotionaler Überflutung zu bewahren – eine wichtige Voraussetzung für seelisches Wohlbefinden.

Extreme Schuldgefühle sind kontraproduktiv

Schuldgefühle fördern indirekt den Kontakt. Helga Kernstock-Redl erläutert: „Denn schließlich befolgen wir soziale und moralische Spielregeln, leben friedlich und handeln fürsorglich nicht nur aus Liebe, Empathie, Begeisterung, Vernunft oder Angst, sondern eben auch deshalb, um ein Schuldgefühl zu vermeiden.“ Ein ungebremstes Schuldgefühl bewirkt jedoch Schlechtes. Helga Kernstock-Redl kennt Erwachsene, die so hohe Ansprüche an sich haben, so viele innere Regeln, dass sie niemals Führungspositionen einnehmen oder Eltern werden, um den befürchtet hohen Berg aus Schuldgefühlen zu vermeiden.

Und auch für die Selbsterhaltung sind extreme Schuldgefühle kontraproduktiv, kann man doch endlos im „Futterkreislauf“ festhängen und im Extremfall daran psychisch fast zugrunde gehen. Menschen mögen Einfluss auf sich selbst und auf die Welt um sich herum haben. Davon können sie einfach nicht genug bekommen. Unter anderem gehören dazu Wahlmöglichkeiten, kontrollierbare Bereiche und das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Darin besteht in der psychologischen Forschung eine seltene Einigkeit. Quelle: „Schuldgefühle“ von Helga Kernstock-Redl

Von Hans Klumbies

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