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Der Appetit auf Zucker ist nahezu unbegrenzt

Eine der interessantesten Konsequenzen der evolutionären Psychologie ist, dass sie viele Fehlfunktionen des menschlichen Denkens und Handelns erklären kann. Hanno Sauer weiß: „Das wahrscheinlich bekannteste Beispiel für eine solche Inkongruenz von Geist und Umwelt ist unser nahezu unbegrenzter Appetit auf Zucker. Kohlenhydrate sind eine wichtige Energiequelle für den menschlichen Körper, und Energie war meist vor allem eines: knapp.“ Es ergab daher Sinn für die Menschen, eine Disposition evolutionär ererbt zu haben, die dafür sorgte, dass sie keine Gelegenheit auslassen würden, Zucker zu sich zu nehmen. Solange Kohlenhydrate rar sind, bleibt diese Disposition auch adaptiv. Denn die Lust am Zucker motiviert die Menschen effektiv, eine für sie wichtige Energiequelle in sich aufzunehmen. Hanno Sauer ist Associate Professor of Philosophy und lehrt Ethik an der Universität Utrecht in den Niederlanden.

Die Moderne steigert den Bedarf ans Selbstkontrolle

Hanno Sauer stellt fest: „In dem Moment, in dem wir unsere Umwelt evolutionärer Angepasstheit verlassen und durch Supermärkte und Tankstellen dauerhaft Zugang zu unbegrenzten Zuckervorräten haben, wird unsere Begierde zum Problem.“ Den evolutionären Imperativ, in Vorbereitung auf magere Zeiten immer so viel Energie wie möglich zu konsumieren, muss man von nun an willentlich einhegen. Die Psychologie des Menschen ist bedauerlicherweise mit einem ganzen Arsenal atavistischer Tendenzen ausgestattet.

Für diese stellt die moderne Gesellschaft eine zunehmend feindliche Umwelt dar. In dieser müssen die Menschen urzeitliche Instinkte, Denk- und Verhaltensmuster ständig mit großem Aufwand unterdrücken. Hanno Sauer erklärt: „Dies steigert den Bedarf an Selbstkontrolle und führt nach und nach zu einem diffusen Unbehagen in der Kultur.“ Denn diese eliminiert zwar die materiellen Nöte, intensiviert aber gleichzeitig die Ansprüche an die kognitive Disziplin. Dadurch perpetuiert sich eine paradoxe Wahrnehmung.

Viele Menschen sind kognitiv überfordert

Vom materiellen Wohlstand entwickelter menschlicher Gesellschaften scheint ein Glücksversprechen auszugehen. Dieses löst er jedoch nur frustrierend langsam und nie vollständig ein. Denn die Menschen bezahlen für jeden Zuwachs an sozialer Kompetenz mit einem Zuwachs an kognitiver Überforderung. Hanno Sauer erläutert: „Für eine Geschichte der Moral kommt es darauf an, welche Attribute unserer evolutionären Vergangenheit die Art und den Umfang unserer Kooperationsbereitschaft geformt haben.“ Man weiß, dass die Menschen über eine ungewöhnlich spontane und dabei erstaunlich flexible Bereitschaft zur Kooperation verfügen. Aber warum?

Die entscheidende Phase der spezifisch menschlichen Evolution fand in einer hochgradig volatilen Umwelt statt. Dies heißt nicht, dass das Wetter zu jener Zeit besonders unvorhersagbar gewesen wäre. Vielmehr bedeutet es, dass Populationen der Vorfahren der heute lebenden Menschen über Generationen hinweg mit rapiden und dramatischen klimatischen Umwälzungen zu tun hatten. Umwälzungen, die sonst langsamer oder weniger extrem ober beides verlaufen waren. Quelle: „Moral“ von Hanno Sauer

Von Hans Klumbies

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