Draußen scheint die Hölle auf Erden zu toben
Brände, Fluten, Lawinen, Katastrophen, Familientragödien, ausgewählte Kriege und Terrorattacken, Flugzeugabstürze, Armut, Flüchtlingskrisen – alles Mögliche findet sich, weitgehend ungefiltert, unsortiert, unreflektiert, regelmäßig so breit getreten auf allen Kanälen, dass der arglose Mensch daraus den Schluss ziehen muss, dass da draußen ständig die Hölle auf Erden tobt – aus tausenderlei unbeherrschbaren Gründen. Ullrich Fichtner weiß: „Das bleibt nicht ohne Folgen, und falsche Weltbilder sind nur eine davon. Es entstehen auch, wenn nicht alles täuscht, neue Psychosen – und man weiß nicht, welche man dem heute geborenen Kind weniger wünschen soll.“ Die eine trifft Menschen, die gewissermaßen süchtig werden nach schlechten Nachrichten und die das Netz krankhaft nach immer neuen Belegen für die nahende Apokalypse durchsuchen. Ullrich Fichtner ist Reporter des „Spiegel“ und gehört zu den renommiertesten Journalisten Deutschlands.
Daniel Kahneman teilt das menschliche Denken in zwei Systeme auf
Die andere Störung führt ins gegenteilige Verhalten einer Nachrichtenabstinenz, um schlechte Schwingungen aus dem eigenen Leben fernzuhalten. Ullrich Fichtner ergänzt: „Umfragen ergeben, dass sich mittlerweile viele Menschen zumindest kleine Auszeiten vom Weltgeschehen genehmigen, um dem deprimierenden Sog zu entkommen.“ Angesichts der Befunde beginn man sich zu fragen: Wie kommen Weltbilder überhaupt zustande? Und wie können sich Menschen ihrer Urteile so sicher sein, wo sie doch nachweislich von vielen Dingen nur wenig wissen?
Daniel Kahneman, Wirtschafts-Nobelpreisträger und zugleich als „wichtigster Psychologe unserer Zeit“ gerühmt, hat dazu ebenso dicke wie lesenswerte Bücher geschrieben, vor allem „Schnelles Denken, langsames Denken“ ist gespickt mit erhellenden Befunden. Zwei von Kahnemans Beobachtungen sind wichtig. Ullrich Fichtner erklärt: „Die eine ist die von ihm vorgenommene elegante Aufteilung des menschlichen Denkens in zwei Systeme: System 1 nennt er das „unwillkürliche“ System, System 2 das „mühevolle“.“
Das „Bauchgefühl“ ist als Richtschnur für das Verhalten sehr wichtig
System 1 wird umgangssprachlich gern „Bauchgefühl“ genannt, jener Mischmasch aus Eindrücken, Gefühlen, Vorwissen, der als Richtschnur für das Verhalten eines Menschen so wichtig ist. Ullrich Fichtner fügt hinzu: „System 2 betrifft die komplexeren Operationen des Denkens, das langsame Denken, man könnte sagen: das Nach-Denken, nicht schnell Entscheiden, das informierte Abwägen.“ Das erste, schnelle System kommt im Privat- und Alltagsleben ständig zum Zuge, weil „da Vertrauen, das wir auf unsere intuitiven Überzeugungen und Präferenzen setzen, in der Regel gerechtfertigt“ ist, wie Daniel Kahneman schreibt.
Nur versagt es eben bei der Beurteilung komplexer Sachverhalte regelmäßig. Ullrich Fichtner stellt fest: „Zum Glück hat die Menschheit aber auch darüber offenkundig ein tiefes Wissen gesammelt, weshalb jede Kultur auf Erden Parlamente, Räte, öffentliche Versammlungen kennt, in denen das „mühsame“ Denken nach System 2 organisiert wird, und es gibt auch andere dafür reservierte Räume, Universitäten etwa oder religiöse Stätten.“ Der impulsive, intuitive Mensch hegt sich also – in voller Erkenntnis seiner Schwächen – selber ein. Quelle: „Geboren für die großen Chancen“ von Ullrich Fichtner
Von Hans Klumbies