Dauerstress macht psychisch krank
„Viele von uns versetzt das Zusammenkommen der Krisen in Dauerstress“, sagt Professorin Judith Mangelsdorf. Sie ist Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie. „Es kommt zu einer langfristigen Ausschüttung des Stresshormons Cortisol, die dafür sorgt, dass wir schlechter schlafen, dünnhäutiger werden. Außerdem leistet Dauerstress vielen psychischen Erkrankungen Vorschub.“ Untersuchungen zeigen, dass die Zahl der seelischen Erkrankungen seit Anfang 2020 zugenommen hat. Die Weltgesundheitsorganisation verzeichnete einen Anstieg von Angsterkrankungen und Depressionen um 25 Prozent im ersten Jahr der Pandemie. Eine Überblicksstudie im Fachmagazin „Lancet“ zeigte, dass in Mitteleuropa etwa ein Drittel der Studienteilnehmer an einer psychischen Krankheit litt. „Das heißt aber auch, dass zwei Drittel gesund geblieben sind – und auch von den Neuerkrankten erholten sich einige rasch wieder“, betont Michèle Wessa, Professorin für Klinische Psychologie und Neuropsychologie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.
Resilienz ist die Widerstandskraft der Seele
Am Leibniz-Institut für Resilienzforschung untersucht sie, was die Psyche eines Menschen stark macht. Resilienz wird oft als Widerstandskraft der Seele bezeichnet. Wer resilient ist, schafft es auch in großen Stresssituationen psychisch gesund zu bleiben und zumindest bald wieder in die seelische Balance zurückzufinden. Diese Fähigkeit wünschen sich derzeit wohl alle Menschen. Teils ist sie angeboren, teils in der Kindheit gelernt.
Doch auch im Erwachsenenalter ist die Widerstandskraft eines Menschen noch beeinflussbar. „Vielleicht das wichtigste Rüstzeug sind Akzeptanz und Selbstwirksamkeit“, sagt Michèle Wessa. Akzeptanz bedeutet, die Umstände, die man nicht beeinflussen kann, als gegeben zu sehen. „Akzeptanz wird manchmal als Passivität missverstanden“, sagt Wessa. „In Wirklichkeit befähigt sie uns aber, das Beste aus der bestehenden Situation zu machen.“ In einem langsamen Vorantasten liegt das Gegengewicht zur Akzeptanz: die Selbstwirksamkeit.
Optimismus stärkt die Resilienz
Der psychologische Begriff klingt etwas sperrig, beschreibt aber eine wichtige Quelle innerer Stärke: die Überzeugung, dass man selbst etwas bewirken kann. So geben zum Beispiel Planungen für den „Worst Case“, den schlimmsten Fall, Sicherheit. Wenn man getan hat, was man kann, sollte man auf das Beste hoffen. „Fragen Sie sich, was der bestmöglichste Fall wäre und was Sie – auch im Kleinen – dazu beitragen können“, rät Judith Mangelsdorf. Das verbessert nicht nur die akute Situation.
Optimismus stärkt auch die Resilienz. Ebenso ist Gemeinschaft in Krisen ein wichtiger Schutz. Nämlich jemanden zu haben, der einem wirklich zuhört. Schließlich sind Resilienz und das Annehmen von Hilfe kein Widerspruch. Im Gegenteil. Auch Unterstützung zu suchen, wenn man sie nötig hat, ist eine Form von Stärke. Wer sich immerzu stark gibt, der versagt sich möglicherweise eine wirkungsvolle Methode der Resilienz: Pause machen. Jeder Mensch braucht Momente, in denen der Stress nachlässt. Quelle: „Gelassen in der Krise“ in der „Apotheken Umschau“ vom 15. Dezember 2022
Von Hans Klumbies