Viele Menschen sind überfordert
Klimakatastrophe, Corona-Pandemie und Vermüllung der Ozeane. Täglich prasseln neue Hiobsbotschaften auf die Menschen ein, denen sie sich häufig hilflos ausgeliefert fühlen. Maren Urner ergänzt: „Die Menschheit bringt den Planeten Erde im wahrsten Sinne des Wortes an seine Grenzen.“ Im Jahr 2009 stellten Wissenschaftler neun „planetare Grenzen“ auf. Von diesen Belastungsgrenzen der Erde waren schon damals drei überschritten. Im Jahr 2015 waren es bereits vier. Gleichzeitig stehen Menschen vor zahllosen, alltäglichen, persönlichen Herausforderungen an sich und ihr Leben. Dazu kommen Zehntausende Entscheidungen, die von ihnen täglich getroffen werden wollen. Viele Menschen sind also „im Großen“ wie „im Kleinen“ kontinuierlich überfordert. Denn längst ist aus der persönlichen Generalentschuldigung „Du, ich hab´s nicht geschafft, es war einfach zu stressig!“ ein Mantra geworden. Dr. Maren Urner ist Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln.
Die Welt ist gefangen in der Dauerkrise
Dieses Mantra prägt eine ganze Gesellschaft, die täglich den Spagat übt. Eben weil viele Menschen ständig versuchen, eine Balance zwischen „Klar kann ich Kinder und Karriere unter einen Hut bringen!“ und „Digitalem Detox- und Yogawochenende zu finden. Die Krise herrscht also auf allen Ebenen: persönlich, beruflich und auf der Welt sowieso. Und zwar dauerhaft und sehr wahrscheinlich für immer, mindestens aber noch sehr lange. Weder ausreichend Impfstoffe noch das Pflanzen von Millionen Bäumen, noch Bankenrettung werden das Steuer herumreißen.
Die Welt ist gefangen in der Dauerkrise. Maren Urner rät: „Halten wir einen Moment inne und schlagen kurz nach, was das Wort „Krise“ bedeutet.“ Die „krísis“ meint im Altgriechischen ursprünglich nichts weiter als „Beurteilung“, „Entscheidung“ und „Meinung“. Daraus wurde die „Zuspitzung“, die wiederum zum Verb „krínein“ führte, das „trennen“ und „unterscheiden“ meint. In der deutschen Sprache kommt die Krise vom lateinischen „crisis“. Es meint einen Wende- oder Höhepunkt einer bis dahin kontinuierlichen Entwicklung.
Einst war die Krise ein Wendepunkt mit offenem Ausgang
Die erste Anwendung fand der Begriff Krise im Deutschen in der Medizin. Vor allem bei fieberhaften Erkrankungen beschrieb sie die Entscheidung oder den Wendepunkt. Sie bezieht sich auf die Krankheitsphase, nach der bei gutem Verlauf die Besserung einsetzte. In ihren ursprünglichen Bedeutungen ist die Krise also ein Zeitpunkt oder eine nicht besonders lang anhaltende Phase der Entscheidung mit ungewissem Ausgang. Nach der Krise kann es besser oder schlechter werden.
Maren Urner stellt fest: „Erst in der heutigen Verwendung ist die Krise durchweg negativ konnotiert. Heutzutage sind Krisen bedrohlich und lösen bei den Betroffenen Unsicherheit aus. Häufig sorgen sie für Konflikte oder andere negative Folgen.“ Aus dem einstigen Wendepunkt mit offenem Ausgang ist ein Bedrohungszustand geworden. Der amerikanische Politikwissenschaftler Charles F. Hermann definierte 1969 drei Zutaten für eine so verstandene Krise: Erstens bedroht sie Ziele von höchster Priorität der Akteure in Entscheidungspositionen. Zweitens kommt sie für die Betroffenen überraschend und drittens limitiert sie die Zeit, die bleibt, um zu reagieren. Quelle: „Raus aus der ewigen Dauerkrise“ von Maren Urner
Von Hans Klumbies