Menschen konstruieren ihre Emotionen
Bisher war die Vorstellung geläufig, Emotionen würden aufgrund bestimmter äußerlicher Einflüsse – wie dem Messer, an dem wir uns schneiden, oder der tolle Mensch, in den wir uns verlieben – fast automatisch „passieren“. Maren Urner fügt hinzu: „Darin steck auch etwas Beruhigendes, denn immerhin befreit es uns aus der aktiven Rolle und entlässt uns in eine gewissen Widerstandslosigkeit.“ Frei nach dem Motto: „Ich konnte nicht anders!“ Gleichzeitig ist die Vorstellung, dass wir alle nahezu automatisch auf Anlässe, Auslöser und Reize mit bestimmten Gefühlen wie Wut, Angst, Ekel und Freude reagieren, auf gewisse Weise ein Gleichmacher. Egal ob arm oder reich, Frau oder Mann, Beamtin oder Bettler, die scharfe Klinge eines Messers an der Fingerkuppe schmerzt sie alle. Dr. Maren Urner ist Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln.
Die Gefühlswelt eines Menschen ist alles andere als deterministisch
Doch bevor man es sich mit dieser Vorstellung zu gemütlich macht, lohnt ein tiefer Blick auf die Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte. Maren Urner weiß: „Sie zeigen: Emotionen entstehen nicht in geschlossenen neuronalen Schaltkreisen. Stattdessen sind sie immer von uns konstruiert. Wir selbst sind somit stets Architekten unserer eigenen Erfahrungen und Gefühlswelten.“ Bestimmt werden diese durch einen Mix aus Einflüssen aus der Umwelt, inklusive der eigenen Kultur, Erfahrungen aus der Vergangenheit mit all unseren Erlebnissen und unseren Erwartungshaltungen, Hoffnungen und Wünschen.
Diese Erkenntnis ist revolutionär. Die Gefühlswelt eines Menschen ist alles andere als deterministisch und „stabil“. Maren Urner ergänzt: „Stattdessen fühlen wir heute – selbst in gleicher Umgebung – anders als morgen und werden unsere Gefühle von unseren Erwartungen beeinflusst. Und zuletzt, aber nicht weniger wichtig, fühlst du anders als ich – oder besser gesagt: Ich konstruiere meine Gefühlswelt anders als du die deine.“ Hier deutet sich eine große kommunikative Herausforderung an.
Menschen sind keine objektiven Informationsverarbeiter
Maren Urner betont: „Das alles bedeutet, dass wir als Individuen unsere eigenen emotionalen Konzepte, die unseren Gefühlen und Emotionen zugrunde liegen, ständig beeinflussen und verändern.“ Um das bewusster zu tun, braucht man eine emotionale Reife. Der vielleicht größte Fehler, den Menschen, die andere Menschen von etwas überzeugen wollen, machen können, ist anzunehmen, dass wir eine Art objektiver Informationsverarbeiter sind.
Frei nach der falschen, aber nicht wenig populären Vorstellung: Wenn wir einen Menschen mit genügend Informationen versorten, wird er es schon irgendwann verstehen und auf eine bestimmte Art und Weise reagieren – idealerweise in der Form, die sich die Überzeugenden wünschen. Schließlich funktioniert das bei Computern ja auch. Wenn es doch so einfach wäre … Ja wenn. Dann wäre niemand übergewichtig und würde rauchen, weil Menschen auf den Rat ihre Ärzte hören würden. Quelle: „Radikal emotional“ von Maren Urner
Von Hans Klumbies