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Die Vergangenheit dient dem Selbstbild

Die Vergangenheit wird am häufigsten zur Selbstdarstellung gebraucht. Valentin Groebner erklärt: „Wer sich auf diese Weise mit der Vergangenheit beschäftigt, möchte, dass sie von ihm selbst handelt, ganz persönlich. Das Bild, das in diesem Spiegel erscheint, ist faszinierend: Es verspricht, dass man sich durch eine neu installierte Ich-Geschichte aus der Vergangenheit selbst verändern könnte und irgendwie verbessern.“ Nahgeschichte ist unübersichtlich. Geschichte als Wissenschaft und die Beschäftigung mit dem Alltäglichen und Flüchtigen – real, aber schnell vergänglich – kriegt man nicht sauber getrennt. Aber genau diese Vermischungen interessieren Valentin Groebner. Andere Leute als ihn selbst findet er viel interessanter. Valentin Groebner lehrt als Professor für Geschichte des Mittelalters und der Renaissance an der Universität Luzern. Seit 2017 ist er Mitglied in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Das Ich sorgt für Antrieb und Fehler

Aber ohne Ich geht es nicht. Das Ich ist Antriebs- und Fehlerquelle in einem. Ich-Sagen ist weder unmittelbar noch besonders persönlich, sondern seit ein paar Jahrhunderten bestimmt von rhetorischen Kunststücken, Zwangssystemen und Projekten radikaler Selbstverbesserung. Ich-Sagen kommt gerne locker, spontan und ganz natürlich daher. Aber es ist die Aufgabe vor und für Publikum, in ganz bestimmten Kanälen und nach deren Spielregeln – ziemlich strikten Regeln.

Sich zu zeigen und von sich zu erzählen, ist also Arbeit. Für wen tue ich das? In welchem Spiegel erscheine ich, wen ich von meiner Geschichte und meinen eigenen Erinnerungen berichte, und wie souverän bin ich dabei? Valentin Groebner fügt hinzu: „Mit meinem Gegenstück im Plural, dem Wir, ist das noch ein bisschen komplizierter. Wir sind keine Gesamtheit, sondern eine Einkaufstasche, in der Immer etwas fehlt. Deswegen der große Appetit, den dieses Partizip entwickelt.“

Tätowierungen sind Selbstauskunft

Appetit auf Festspiele, auf Männerchöre, auf Feinde – denn ohne die weiß man nicht, wo man hingehört – und besonders auf jene Orte, die auf den Namen Heimat hören. Im eigenen Zuhause aber sind nicht alle gleich, da kann man noch so innig vom Wir und der Heimat singen. Tätowierungen dagegen sind Selbstauskunft in einer ganz besonderen Form. „Dieses Zeichen auf meiner Haut“, sagt die Person, die sie trägt, „das bin ich“. Und zwar für immer. So demonstrativ diese Zeichen auf rebellische Gegenkultur und exotische Fremde verweisen, aus der Nähe betrachtet erzählen sie eine ganz andere Geschichte.

Valentin Groebner betont: „In ihr geht es ums Wünschen, und die meisten dieser Wünsche sind fromm, wohlanständig, ziemlich brav, und handeln von Zugehörigkeit. Und von dem, was man nicht festhalten kann, auch wenn man es sich unauslöschlich auf den Körper schreibt.“ Wünschen ist nicht immer ganz so freiwillig, wie es auf den ersten Blick aussieht; nicht nur zu Weihnachten, dem Fest der Wünsche und der Liebe, sondern auch bei der großen Bescherung, dem Leben als Paar. Quelle: „Bin ich das?“ von Valentin Groebner

Von Hans Klumbies

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