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Den Narzissmus prägt eine Doppelköpfigkeit

Beim offenen Narzissmus sind die narzisstischen Eigenschaften relativ offensichtlich. Turid Müller erklärt: „Wer diese Menschen besser kennt, merkt, dass sie auf ihren Vorteil bedacht sind und wenig Interessen und Mitgefühl für andere entwickeln. Mit ihrer hohen Meinung von sich halten sie nicht hinterem Berg.“ Sie suchen sich tendenziell eher Rollen, die ihnen ermöglichen, sich ganz offen ins Rampenlicht zu stellen, um Applaus und Macht zu erlangen. Dazu zählen beispielsweise Politiker, Revoluzzer oder Draufgänger. Auch sie haben die für den Narzissmus typische Doppelköpfigkeit. Aber es ist nicht diese besonders tückische Mogelpackung wie beim verdeckten Narzissmus. Menschen mit verdecktem Narzissmus achten peinlich genau darauf, was andere von ihnen denken. Sie werden geschätzt. Und niemand würde über sie sagen, dass sie narzisstisch sind. Turid Müller ist Diplom-Psychologin und ausgebildete Schauspielerin.

Das Selbstgefühl verdeckter Narzissten ist schwach

Sie wirken nett und hilfsbereit. Und darauf sind sie auch sehr bedacht. Ihre Maske sitzt lange Zeit tadellos. Nur ihre Opfer erhaschen ab und zu einen Blick dahinter. Doch weil das, was sie sehen, nicht in das Bild passt, das sie von dieser Person haben, erklären sie es weg – weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Turid Müller weiß: „Erst ganz am Ende einer solchen Partnerschaft kriegt die Maske Risse, und das wahre Gesicht kommt zum Vorschein. Doch selbst dann fällt es schwer zu glauben, dass alles andere nur eine Illusion war.“

Da ihr Selbstgefühl schwach ist, suchen sich Menschen mit verdecktem Narzissmus eher Missionen oder Berufe, aus denen heraus sie unbemerkt Stärke herausziehen können, indem sie sich einen selbstlosen Anstrich geben. Rollen wie Märtyrerin, von der schnöden Welt unverstandener Eremit, Rebellin, Missionar, Ärztin oder ewig werdender und nie praktizierender verhinderter Künstler sind alle bestens geeignet, um im Geheimen eben doch die Größenfantasie zu pflege, auserwählt, wegen übergroßer Genialität verkannt und mit göttlichem Auftrag im Dienste der Menschheit unterwegs zu sein.

Narzissmus bei Frauen wird oft übersehen

Turid Müller stellt fest: „Ein weiterer Mythos rankt sich um den Narzissmus: Narzissten seien immer oder zumindest meistens Männer. Das ist nicht der Fall.“ Richtig ist allerdings: Es scheint den grandiosen Narzissmus häufiger bei Männern als bei Frauen zu geben. Beim vulnerablen beziehungsweise verdeckten Narzissmus dagegen liegen die Frauen etwa gleichauf. Auch ganz grundsätzlich gilt: Wie in so vielen anderen Bereichen ziehen auch beim Narzissmus die Frauen langsam nach.

Bisher wird Narzissmus allerdings bei Frauen aufgrund von Stereotypen des Geschlechts oft fehldiagnostiziert und somit übersehen. Denn: Man erwartet Narzissmus bei Frauen nicht. Hier wirkt das Klischee als selbsterfüllende Prophezeiung. Hinzu kommt, dass verwirrende Bezeichnungen im Umlauf sind: Der Ausdruck „weiblicher Narzissmus“ wird oft synonym verwendet für den verdeckten beziehungsweise vulnerablen Typ oder für „Co-Narzissmus“. „Männlicher Narzissmus“ wird oft synonym verwendet für den offenen beziehungsweise grandiosen Typ. Quelle: „Verdeckter Narzissmus“ von Turid Müller

Von Hans Klumbies

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