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Die Dunkelziffer beim Narzissmus ist hoch

Fest steht: Narzissmus gab es immer schon. Zur Häufigkeit narzisstischer Störungen gibt es unterschiedliche Untersuchungsergebnisse. Die Zahlen schwanken zwischen circa unter 1 und 8 Prozent; manche Schätzungen liegen sogar weit höher. Turid Müller stellt fest: „Doch wie häufig Narzissmus tatsächlich ist, lässt sich nur schwer ermitteln – auch wegen der Unklarheit in der Begriffsbestimmung und der fehleranfälligen diagnostischen Tools.“ Es ist möglich, dass die Häufigkeit unterschätzt wird. Wenn diagnostische Fehlerquellen ausgeschlossen würden, könnten die Zahlen deutlich höher liegen. Schwierig ist außerdem die hohe Dunkelziffer. Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitsstörungen sind – mit wenigen Ausnahmen – nicht in der Lage, eigene Schwächen und die Auswirkungen ihres Verhaltens auf andere zu reflektieren. Dementsprechend halten sie sich auch nicht für krank. Turid Müller ist Diplom-Psychologin und ausgebildete Schauspielerin.

Die Selbstdarstellung in den sozialen Netzwerken fördert den Narzissmus

Zudem ist die Diagnostik dadurch erschwert, dass die Betroffenen keine Krankheitseinsicht haben und die Schwere ihres Zustandes herunterspielen oder schlicht nicht bemerken. Turid Müller erläutert: „Ich-synton sagt man dazu, wenn Menschen ihre Emotionen, Kognitionen und Impulse nicht als störend, sondern als Teil von sich erleben.“ Weil die Gesellschaft – nicht zuletzt dank der Selbstdarstellung in den sozialen Netzwerken – immer narzisstischer wird, scheint es eine Zunahme zu geben, zumindest bei milderen Varianten beziehungsweise bei der jüngeren Generation.

Der Narzissmus scheint sich auf einem Spektrum zu bewegen: An der Schwelle, wo der Narzissmus noch nicht stark ausgeprägt ist, um eine Persönlichkeitsstörung zu diagnostizieren, spricht man von einer „Persönlichkeitsakzentuierung“. Dann folgt die voll ausgeprägte narzisstische Persönlichkeitsstörung, die sich vulnerabel und/oder grandios zeigen kann. In starker Ausprägung und bei gleichzeitigem Auftreten von antisozialen Persönlichkeitsmerkmalen spricht man von „malignem (bösartigem) Narzissmus“. Er wird als psychiatrische Entsprechung für „das Böse“ gehandelt.

Narzissmus gibt es mit unterschiedlichsten Funktionsniveaus

Turid Müller weiß: „Gewaltverbrechen und politische Gräueltaten gehen oft auf schwere Störungen dieser Art zurück. Sind die antisozialen Merkmale noch dominanter, liegt eine antisoziale Persönlichkeitsstörung vor; diese gehört auch zu den narzisstischen Störungen und grenzt in schweren Fällen an Psychopathie.“ Auch psychopathische Menschen manipulieren, um zu bekommen, was sie wollen. Aber ihnen ist es in der Regel egal, was andere von ihnen halten. Narzisstische Menschen dagegen brauchen ihr Umfeld, um sich wertvoll zu fühlen.

Über die genaue Abgrenzung und Abstufung besteht Uneinigkeit. Relativ einig ist man sich dagegen über die grundlegende Tendenz: Während Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung immerhin kognitive Empathie empfinden können, wenn sie dazu motiviert sind, nehmen Empathiefähigkeit und Reue mit zunehmender Stärke der Störung immer mehr ab. Und das Gewaltpotenzial steigt. Narzissmus gibt es außerdem mit unterschiedlichsten Funktionsniveaus. Auf dem untersten Funktionsniveau sind die Betroffenen zum Beispiel so desorientiert, und so wenig in der Lage, ihren Alltag zu gestalten, dass eine Unterscheidung zu anderen Persönlichkeitsstörungen kaum möglich ist. Quelle: „Verdeckter Narzissmus in Beziehungen“ von Turid Müller

Von Hans Klumbies

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