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Rollo May: "Humane Macht ist die Fähigkeit zur Liebe"

Rollo May unterscheidet fünf Schichten oder Phasen der Macht, die potentiell im Leben jedes Menschen vorhanden sind. An erster Stelle steht die Macht zu sein, das heißt in der Welt zu leben und zu existieren. Eine weitere Phase ist die Selbstbestätigung, bei der jeder Mensch sich als anerkannt und als für andere bedeutsam empfindet. Das Streben nach Sein, Selbstbestätigung und Selbstbehauptung kann in Selbst- und Fremddestruktion umschlagen, wenn der Mensch keinen Modus der Mitmenschlichkeit findet, in dem er seine Selbstachtung aufrechterhalten kann.

Ein machtloser Mensch fühlt sich dauernd frustriert

Die Ohnmacht ist für Rollo May der Ursprung von seelischen Erkrankungen, von Gewaltausbrüchen und Unvernunft. Ähnlich wie Alfred Adler sieht er in der psychischen Machtlosigkeit das Fundament von Neurosen, Psychosen, Perversionen, Kriminalität und Drogenmissbrauch. Ein machtloser Mensch fühlt sich dauernd von der Welt und den Mitmenschen frustriert.

 

Wenn ein Individuum neurotische Symptome aufbaut oder einer Sucht verfällt, wehrt es sich dadurch gegen eine Umwelt, die zu jeder Zeit als bedrohlich empfunden wird. Zu dieser Eigenwelt ist der Gemeinschaft und der Gesellschaft der Zugang verwehrt. Der Mensch ist zwar Herr seiner selbst, hat aber die Welt verloren.

Ein Zerstörer kann nicht lieben

Als Synonym für Macht benutzt Rollo May den Begriff „Möglichkeiten haben“. Zur möglichen Selbstverwirklichung zählt er das Leben in der Zukunft und das Freisein. Wer einem Menschen durch Beziehung, Begegnung und Hoffnung die Dimensionen der Zukunft und der Freiheit eröffnet, holt ihn in die Gemeinschaft zurück, aus der er infolge unglückseliger Sozialisation heraus gefallen ist. Humane Macht ist für Rollo May mit der Fähigkeit zur Liebe identisch.

Nur der produktive Mensch, der lieben und schaffen kann, erlebt immer wieder die Erweiterung seines Ichs, das zur Vollkommenheit strebt und das Wachsen seines inneren und äußeren Horizonts, wodurch intensive Glücksgefühle entstehen. Aggression und Gewalt sind dagegen für May die Zerrformen des menschlichen Verlangens nach Ekstase und der Sprengung der Grenzen des Ichs. Wer das Leben nicht lieben kann, möchte es wenigstens zerstören. Zerstörung ist ein Symptom der Unfähigkeit zur Liebe.

Kurzbiographie: Rollo May

Rollo May wurde 1909 in Michigan (USA) geboren. Er studierte Psychologie und Philosophie, wobei er sehr von Alfred Adler beeinflusst wurde, dessen Schüler er zunächst in Wien und dann in New York war. In den späten 30iger Jahren schloss er sich dem William-Alanson-White-Institute für Psychiatrie in Washington an. Rollo May lehrte an vielen Universitäten, unter anderen in Yale, an der Columbia University und in Princeton.

Vor seinem Tod 1994 arbeitete er als Lehranalytiker und frei praktizierender Psychotherapeut in New York. Zu seinen Büchern, die teilweise Massenauflagen erzielten, zählen unter anderen: „The Meaning of Anxiety“ (1950), „Man`s Search for Himself“ (1953), „Die Sprache des Unbewussten“ (1968), „Der verdrängte Eros“ (1969) und „Die Quellen der Gewalt. Eine Analyse von Schuld und Unschuld“ (1972).

Von Hans Klumbies

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