Kränkungen quälen die Psyche
Die Kränkung ist eine psychologische Großmacht ersten Ranges, die für viele psychische Störungen verantwortlich ist – und eben auch für den Hass. Kränkungen sind mehr als ein Gefühl. Reinhard Haller erläutert: „Sie bestehen aus der Interaktion zwischen jemandem, der kränkt, und dem Kränkungsempfänger sowie dem eigentlichen Inhalt der Kränkung, der Kränkungsbotschaft.“ Da Kränkungen im Gegensatz zu ihrer subjektiven Bedeutung, die der Empfänger ihr beimisst, objektiv oft als kaum beachtenswerte Kleinigkeiten erscheinen, wird ihre Wirkung maßlos unterschätzt. Denn Kränkungen bedeuten immer einen Angriff auf persönliche Gefühle und Vorstellungen. Sie führen zu Verletzungen vieler psychischer Komponenten, besonders des Selbstbewusstseins, und bedingen eine anhaltende Erschütterung des Selbst und seiner Werte. Prof. Dr. med. Reinhard Haller war als Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe über viele Jahre Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik. Heute führt er eine fachärztliche Praxis in Feldkirch (Österreich).
Eine Kränkung ist ein Angriff auf das innerste Ich
Reinhard Haller weiß: „Die destruktive Macht trifft auf sensible psychische Stellen, reißt innere Wunden auf, verletzt den Gerechtigkeitssinn und ruft beim Kränkungsoper Enttäuschung, Ohnmachtsgefühl und Wut hervor.“ Psychodynamisch handelt es sich bei Kränkungen immer um fehlende Positivresonanz, um Liebesentzug und Angriff auf das innerste Ich. Dagegen wehrt sich der Gekränkte mit allen Mitteln, er sinnt auf Rache an der Person, die ihn gekränkt hat, im Extremfall auf deren Vernichtung – das ist dann Hass.
Der Hass entwickelt sich bei Kränkungen in einer „Frustrations-Kränkungs-Spirale“, die aus dem Zusammenspiel von Selbstwert und Entwertung durch Kränkung resultiert. Reinhard Haller erklärt: „Diese Entwertung ist mit Verunsicherung, Zweifel, Scham und Angst verbunden, auch mit Schuldgefühlen, gegen die der Gekränkte Widerstand leistet.“ Der Hass ist eine Art Kränkungsabwehrreaktion, mit der man sich selbst schützt und den übermächtig gewordenen Verursacher bekämpft.
Kränkungen verwandeln Liebe in Hass
Da der Hass alle anderen Gefühle übertönt, ist er bei der Überdeckung und Überwindung zunächst erfolgreich. Der Hass ist, wie dies Reinhard Haller schon öfter betont hat, ein primitives Gefühl, das über differenzierte Emotionen wie Kränken und Gekränktsein gleichsam hinwegfährt. Kommt Hass zum Einsatz, werden Traumatisierungen oder weniger verletzend und Kränkungen als nicht so schmerzhaft erlebt. Das destruktive Potenzial von Kränkungen ist enorm.
Kränkungen zerstören Partnerschaften, machen Freunde zu Feinden und verwandeln Liebe in Hass. Reinhard Haller fügt hinzu: „Sie entfachen den Hass von Amokläufern und Terroristen, ja können selbst zur schlimmsten Form des Hasses führen, zum Krieg. Die intensivste und verheerendste Kränkungsart ist dabei die Demütigung.“ Diese ist auf Erniedrigung des Opfers bedacht. Sie nimmt ihm, wie der Name sagt, den letzten Mut und ruft das für die weitere Hassentwicklung so gefährliche Gefühl der Ohnmacht hervor. Quelle: „Die dunkle Leidenschaft“ von Reinhard Haller
Von Hans Klumbies