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Der Verbitterte findet keinen Frieden

Reinhard Haller weiß: „Der Verbitterte findet keinen Frieden mit sich, schon gar nicht mit seinem Schicksal und zuallerletzt mit jenen, die er für seine Verbitterung verantwortlich macht. Bei keiner anderen Form der Kränkung ist das Kriterium der Nachhaltigkeit so ausgeprägt wie bei der Verbitterung.“ Trifft man mit verbitterten Menschen zusammen, werden diese meist bald auf das sie belastende Thema, auf die ihnen widerfahrene Ungerechtigkeit, auf ihr unverdientes Schicksal zu sprechen kommen. Finden sie anfangs noch Gehör und Interesse für ihr Problem, gehen sie den Mitmenschen damit allmählich auf die Nerven. Weil sie immer dasselbe erzählen und das Gefühl vermitteln, sich nicht helfen zu lassen, meidet man die Verbitterten und will möglichst wenig mit ihnen zu tun haben. Prof. Dr. med. Reinhard Haller war als Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe über viele Jahre Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik. Heute führt er eine fachärztliche Praxis in Feldkirch (Österreich).

Der Verbitterte brütet Fantasien der Rache aus

Dies vertieft beim Verbitterten das Gefühl des Unverständnisses und der Ungerechtigkeit. Er fühlt sich abgewiesen und allein gelassen, er zieht sich noch mehr zurück. In seiner Abgeschiedenheit entwickelt er einen zunehmenden Hass auf die verständnislose, scheinbar heile Welt. Er brütet Fantasien der Rache, der Genugtuung und Gerechtigkeit, des letzten Triumphs aus. Bereits Aristoteles hat in seiner „Nikomachischen Ethik“ die Verbitterung und deren Folgen für den verbitterten Menschen beschrieben.

Aristoteles schreibt: „Verbittert ist der schwer zu Versöhnende, der lange den Zorn festhält; er verschließt die Erregung in seinem Innern und hört damit erst auf, wenn er Vergeltung geübt hat. Denn geübte Vergeltung beschwichtigt die Erregung, indem sie das Gefühl des Schmerzes durch ein Gefühl der Befriedigung ersetzt. Geschieht das nicht, wir der Druck weiter. Denn da die Erregung nicht offen heraustritt, so kann einem solchen auch keiner gut zureden; innerlich aber die Erregung zu verarbeiten, dazu braucht es der Zeit. Diese Art von Menschen ist sich selbst und den vertrautesten Freunden die schwerste Last.“

Die Verbitterung geht nicht vorüber wie die normale Kränkung

Aristotles hat schon vor 2500 Jahren die wesentlichen Punkte der Verbitterung erkannt. Reinhard Haller erklärt: „Das Vordingen negativer Gefühle bis in das Innerste, die Unzulänglichkeit der abgekapselten kränkenden Emotion, den chronischen Stress durch anhaltenden Druck, die nachhaltige Wirkung und die schwere Bewältigung.“ Aristoteles weist darauf hin, wie belastend Verbitterung für die Betroffenen ist und wie schwer erträglich verbitterte Menschen für ihre Umgebung sind.

Der große Philosoph, der auch ein großer Psychotherapeut war, zeigt aber auch Lösungsmöglichkeiten auf: in negativer Form durch Vergeltung, also Rache, in positiver durch offenes Ansprechen und durch Verzeihen. Die Verbitterung wird nicht durch einen aggressiven Affekt, durch Zorn oder Wut entladen. Auch geht sie nicht vorüber wie die normale Kränkung. Und sie ist noch schwerer als diese zu behandeln. Sie frisst sich gleichsam fest, hat sich fixiert. Quelle: „Die Macht der Kränkung“ von Reinhard Haller

Von Hans Klumbies

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