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Demütigungen sind die Wurzel von Gewalt

Demütigungen spielen sich im mikro-, meso- und makrosozialen Kontext, also auf allen Ebenen des menschlichen Zusammenlebens, ab. Reinhard Haller weiß: „Im individuellen Bereich haben sie die Wirkung von schweren Traumen, die jedoch viel schmerzlicher erlebt werden als Naturkatastrophen und sonstige Unglücksfälle.“ Sie sind zu den sogenannten „man made disasters“ zu zählen. Also zu den von Menschen herbeigeführten Übeln, die von den Opfern nur schwer zu verkraften sind. Demütigungen sind für die Betroffenen komprimierte Kränkungen mit enorm destruktivem Potenzial und langer zeitlicher Wirkung. Wenn es in Partnerschaften und familiären Verbänden zu Demütigungen kommt, bedeutet dies jedenfalls eine schwere Krise, wenn nicht das Ende von Beziehungen. Für den amerikanischen Psychiater James Gilligan sind Demütigungen eine wesentliche Wurzel von Gewalt in Partnerschaft und Familienleben. Der Psychiater und Psychotherapeut Reinhard Haller arbeitet vornehmlich als Therapeut, Sachverständiger und Vortragender.

Demütigungen besitzen ein destruktives Potenzial

In „Gesellschaften der Ehre“ wie Jugendgangs oder mafiösen Gruppierungen nutzt man die destruktive Potenz der Demütigung zur Disziplinierung und Aufrechterhaltung der Hierarchie. Bei verweigerter Gefolgschaft und Versagen, besonders bei Abtrünnigkeit oder Verrat, erfolgt die Demütigung in ritualisierter Form. Demütigungen sind seit jeher fester Bestandteil der Machtausübung, der Unterdrückung und Sklaverei, der Kriegsführung und des Verbrechens.

Reinhard Haller erläutert: „Sie wurden über Jahrhunderte gleichsam institutionalisiert, um Frauen patriarchalischer Gewalt zu unterwerfen, um Menschen anderer Rasse und Hautfarbe zu unterjochen, um den Abstand zwischen Arm und Reich zu wahren und um religiöse oder kulturelle Barrieren aufrechtzuerhalten.“ In den meisten geschlossenen autoritären Systemen versucht man, durch Demütigungen autonome Persönlichkeiten zu zerstören, Ruhe und Ordnung zu sichern, alte Werte zu erhalten oder Terrorismus zu bekämpfen. Die Dynamik der Demütigung kann zum Abreißen sozialer Beziehungen, zu generationenüberschreitender Auseinandersetzungen, ja bis zum Krieg führen.

Demütigungen verletzten den Stolz und die Ehre

In Gesellschaften, die vom Stolz gekennzeichnet sind, wird Demütigung zwar sehr gefürchtet, aber sofort abgewehrt. Unter den noblen, stolzen und freien Nomaden gilt sogar das Sprichwort: „Ein Mann verdient es, getötet zu werden, nicht gedemütigt.“ Reinhard Haller erklärt: „Hingegen bedeutet Demütigung in Kulturen, in welchen die Ehre des jeweiligen Standes oder der hierarchischen Ordnung bedeutsam sind, einen Angriff von unten. Von niederen Rängen wird ein gewisses Maß an Demut erwartet.“

Untertanen müssen Unterdrückungen demütig ertragen, weshalb man diese als legitim, als natürliche Ordnung oder Gotteswille auffasst. Schließlich erfolgen Demütigungen in modernen Gesellschaften im Kontext der Würde. Die Gesellschaft gesteht jedem Menschen die gleiche Würde zu, wie das übrigens im ersten Artikel der Menschenrechtskonvention von 1948 festgehalten ist. Gerade in einer globalen Informationsgesellschaft, in der man die Menschenrechte respektiert, bedeutet deren Verletzung eine schwere Erniedrigung als Verstöße gegen Stolz und Ehre. Quelle: „Die Macht der Kränkung“ von Reinhard Haller

Von Hans Klumbies

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