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Der Schizophrene zweifelt an seinem Ich

Manfred Lütz weiß: „Die Verunsicherung des Ich vom Kern her, die Unfähigkeit, mit diesem Ich Wichtiges von Unwichtigem und unterscheiden, und daher das Gefühl, der Fülle der Eindrücke, die man empfängt, hilflos ausgeliefert zu sein, das ist die Grundstörung bei der Schizophrenie.“ Schizophrenie ist also keine „Persönlichkeitsspaltung“, wie man manchmal hören kann, weil es – aus dem Griechischen übersetzt – „Seelenspaltung“ heißt. So etwas wäre eher eine „Multiple Persönlichkeit“. Schizophrenie ist etwas anderes: Jeder weiß normalerweise, was es heißt, wenn er „Ich“ sagt. Genau das aber ist dem Schizophrenen zweifelhaft geworden. Was ist er selbst, was macht seine Umwelt? Manfred Lütz hat Medizin, Theologie und Philosophie in Bonn und Rom studiert. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Autor zahlreicher Bestseller.

Schizophrene können manchmal ihre Gedanken laut hören

Sind die Stimmen, die er und nur er hört, die seine Handlungen kommentieren, ihm Befehle erteilen oder die miteinander über ihn reden, Stimmen von ihm selbst oder in Wahrheit Stimmen von anderen? Manfred Lütz fügt hinzu: „Sind seine Gedanken, die er sogar manchmal laut hören kann, seine eigenen Gedanken oder sind sie in Wirklichkeit von außen eigegeben? Und können umgekehrt seine eigenen Gedanken von anderen gehört werden oder gar durch andere ihm entzogen werden?“

Ist er noch Herr im eigenen Haus oder wird der eigene Wille in Wahrheit fremdgesteuert? Sind seine körperlichen Gefühle von außen – durch Strahlen oder Ähnliches – gemacht und daher gar nicht seine eigenen Gefühle? Sind nicht irgendwelche Leute hinter ihm her, steht ihm nicht der sichere Tod bevor? Sind die Dinge, die er wahrnimmt, irgendwie alle auf ihn bezogen? Manfred Lütz stellt fest: „Für einen akut schizophrenen Erkrankten sind all das keine Fragen. Es sind Gewissheiten.“ Eine solche durch Argumente unkorrigierbare Gewissheit nennt man Wahn.

Etwa 1 Prozent der Menschen sind irgendwann in ihrem Leben mal schizophren

Der akute schizophrene Schub ist für den betreffenden Menschen anstrengend und existenziell erschütternd. Deswegen werden auch seine existenziell tiefsten Überzeugungen bei dieser Erkrankung aufgerufen. Manfred Lütz erläutert: „Daher sind religiöse Themen nicht selten. Das heißt nicht, dass die Religion jemanden in die Schizophrenie treiben kann, sondern dass diese Erkrankung sich solche Inhalte sucht.“ Da meint dann jemand, der nie viel mit der Kirche am Hut gehabt hat, er sei Gott oder Christus oder der Papst.

In einem weniger religiös geprägten Umfeld werde sich Schizophrene andere Inhalte suchen. Die Krankheit selbst ist von solchen Inhalten und auch von sonstigen gesellschaftlichen Einflüssen weitgehend unabhängig. Manfred Lütz erklärt: „Man hat festgestellt, dass in allen Kulturen von Europa bis in die Südsee der Prozentsatz an Schizophrenen ungefähr gleich ist: Etwa 1 Prozent der Menschen sind irgendwann in ihrem Leben mal schizophren. Das ist eigentlich ziemlich viel.“ Quelle: „Neue Irre!“ von Manfred Lütz

Von Hans Klumbies

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