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Es gibt viele wahnsinnig Normale

Es gibt nicht nur den ganz normalen Wahnsinn, sondern auch die wahnsinnig Normalen. Es gibt diese öden blassen Gestalten, an die man sich partout nicht erinnern kann, obwohl sie einem im Zug stundenlang gegenübergesessen sind. Manfred Lütz erläutert: „Diese grauen Mäuse unserer Normalgesellschaft, deren Motto ist: Bloß nicht auffallen! In der Schule waren sie gut bis mittelmäßig, aber nur so sehr, dass die Klassenkameraden sich nicht herausgefordert fühlten.“ Im örtlichen Waschsalon fanden sie ihre Frau fürs Leben, der Sauberkeit über alles ging, porentiefe Sauberkeit natürlich. Sie wurden Buchhalter in der Finanzverwaltung und ihre Kleidung wählten sie stets so, wie es sich für den gepflegten Herrn gehört. Mann ist dann gut angezogen, wenn sich keiner später mehr erinnern kann, was er anhatte. Dr. med. Dipl. theol. Manfred Lütz ist Psychiater, Psychotherapeut, Kabarettist und Theologe.

Die wahnsinnig Normalen sind der Kitt der Gesellschaft

Auch ihre Meinungen liegen stets im Trend. Ein bisschen kritisch, aber nicht allzu viel. Sie sterben unspektakulär am Herzinfarkt wie die meisten ihrer Freunde. Solche Menschen hätten nie die Chance, in eine Psychiatrie eingeliefert zu werden. Sie böten bei allen psychologischen Tests den ultimativen Normalbefund. Von außen ist man nicht immer sicher, ob sie überhaupt leben, und wenn ja, wie? Wahrscheinlich leben sie aber doch irgendwie, man merkt es nur nicht.

Manfred Lütz will jedoch solch wahnsinnig Normale nicht verachten. Sie sind schließlich der Kitt der Gesellschaft. Sie sind die Existenzbedingung jeder Straßenverkehrsordnung. Sie sind die Freunde aller Statistiker, die nichts so sehr hassen wie statistische Ausreißer. Die wahnsinnig Normalen sind das Passepartout, damit sich alle Außergewöhnlichen auch wirklich außergewöhnlich fühlen können. Doch gibt es da ein Problem mit diesen Normalen. Sie mögen die anderen nicht.

Der brave Bürger kann zur Furie werden

Manfred Lütz stellt fest: „Sie hassen all die Bunten, die Schrillen, die Lauten.“ Es macht sie wütend, dass da immer wieder diese regellosen Chaoten sind, die falsch parken. Nie würde es ihnen einfallen, mit solchen Leuten zu reden. Aber wenn das Fass überläuft, bricht es aus ihnen heraus, dann kann der brave Bürger zur Furie werden, dann brüllt er los in gerechtem Zorn. Wahnsinnig Normale sind zwar normal, aber sie können unberechenbar sein. Wer kein Blut sehen kann und deswegen seinen Nachbarn nicht gleich erschlagen will, der kann ihn heutzutage geistig fertigmachen.

Im Zeitalter der political correctness wurde der Pranger wieder eingeführt. Am mittelalterlichen Pranger stellte man Menschen auf einem öffentlichen Platz zur Strafe zur Schau mit einem Schild, auf dem ihr Verbrechen genannt wurde. Man hält das heute für eine eklatante Verletzung der Menschenwürde. Doch zugleich hegt man keinerlei Bedenken, einen Menschen wegen einer nicht korrekten öffentlichen Äußerung in allen Medien und auf sämtlichen Social-Media-Kanälen der Lächerlichkeit und Verachtung, ja des Hasse preiszugeben. Quelle: „Neue Irre!“ von Manfred Lütz

Von Hans Klumbies

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