Der Job erfüllt junge Menschen nicht mehr
Kerstin Kullmann stellt fest: „Die „Generation Z“ sucht nicht mehr nur Erfüllung im Beruf, sondern setzt auch auf Work-Life-Balance. Aber macht mehr Freizeit wirklich zufriedener? Eine Glücksstudie aus Harvard zeigt, wie wichtig der Job ist.“ Therese Kruse ist Psychotherapeutin. Sie besucht in Leipzig Patienten in Lebenskrisen zu Hause, und sie berät Menschen, die unter Depressionen, Ängsten oder Psychosen leiden, in der Praxis. Sie hört oft von großer Leere und von der Sinnfrage, ob der Beruf nicht mehr bringen müsste als Geld. Die Psychotherapeutin sieht immer häufiger, dass junge Menschen keinen Sinn mehr darin sehen, ihre Erfüllung in der Arbeit zu suchen. Beides zu vereinbaren – Engagement im Job und Zeit fürs Private –, empfindet insbesondere die „Generation Z“ als Herausforderung. Um die Jahrtausendwende geboren, haben die jungen Erwachsenen andere Vorstellungen als ihre Eltern.
Dienst nach Vorschrift ist ein neuer Trend
Es liegen Welten zwischen den jungen Menschen und den ab 1946 geborenen „Babyboomern“, zu deren Lebenszielen – neben der Gründung einer Familie und Bau eines Eigenheims – fast immer auch eine Karriere gehörte. Kerstin Kullmann weiß: „Viele Personalchefs aus dieser Generation beklagen, die Jungen übernähmen wenig Verantwortung, wollen nicht fünf Tage am Stück arbeiten und weigerten sich, Überstunden zu machen.“ Viele möchten der Arbeit im Leben einfach nicht zu viel Platz einräumen.
Eine alternative Strategie empfahl jüngst der Karrierecoach Brian Creely Auf der Social-Media-Plattform TikTok. Statt einen unliebsamen Job zu kündigen, riet Creely dazu, „einfach faul zu sein“. Der „Quiet Quitting“-Trend, also nur Dienst nach Vorschrift tun, geistert als mögliche Alternative weltweit durch die sozialen Medien. Tausende junge Menschen teilen ihre Zustimmung in Videos und Posts. Robert Waldinger hält dies für einen Irrweg. Zufriedenheit im Job spiele „eine wirklich riesige Rolle“, um in seinem Leben glücklich zu werden, sagt der Psychiater.
Leben und Job lassen sich nicht voneinander trennen
Und der Forscher kann sich dabei auf empirische Daten berufen. Robert Waldiger leitet die „Study of Adult Developement“ der Harvard-Universität. Kerstin Kullmann erklärt: „Seit 1939 versuchen die Forschenden zu ergründen, welche Faktoren für ein zufriedenes Leben verantwortlich sind; die Harvard-Studie ist die größte Langzeitstudie dieser Art. Und die Ergebnisse sind – generationsübergreifend – eindeutig. Die Idee, das eigene Leben und den Job voneinander zu trennen, funktioniere einfach nicht, berichtet Robert Waldinger.
Aber ist es doch nicht richtig, dass weniger Arbeit zu mehr Zufriedenheit führt? Die Erziehungswissenschaftlerin und Psychotherapeutin Gabriele Pohl ist skeptisch. Kommt am Wochenende wie von selbst die sinnstiftende Freizeit? „Meist habe ich nicht den Eindruck“, sagt Pohl. An ihrem Institut sehe sie viel häufiger als früher Patient, die „keinen Sinn mehr erleben“. Die Lust auf Freizeit sei groß; doch viele Menschen wüssten gar nichts Erfüllendes damit anzufangen. Quelle: „Lob der Arbeit“ von Kerstin Kullmann in „DER SPIEGEL“ Nr. 12 vom 18.3.2023
Von Hans Klumbies