Routinen sind Gift für die Liebe
Wenn sich ein verliebter Partner mit einem Gegenüber abmüht, das sich nicht entflammen lässt, endet die Liebe im Burn-out. Psyche und Gehirn des Menschen raffen sich nur dann zu besonderen Leistungen auf, wenn sich neue, unbekannte Aufgaben stellen und es dabei etwas Besonderes zu gewinnen gibt. Joachim Bauer weiß: „In der Frühphase einer Bekanntschaft schnellt man hoch und eilt zur Tür, wenn der Partner von der Arbeit kommt. Der oder die nach Hause Gekommene wird gebeten, vom Tag zu erzählen, um ihm oder ihr dazu möglichst viel zurückzuspiegeln.“ Betritt einer der Partner einige Monate später die Wohnung, erfolgt der Gruß oft nur noch von der Couch, schließlich laufen im Fernsehen gerade die Nachrichten. Joachim Bauer ist Arzt, Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Bestsellerautor von Sachbüchern.
Ständige Wiederholungen führen zur Langeweile
Was in vielen Partnerschaften irgendwann Einzug hält, sind Resonanzroutinen. Ein innerer Monolog könnte wie folgt aussehen: „Ich weiß inzwischen, wer du bist; große Überraschungen sind nicht zu erwarten; was heute Abend noch läuft, ist ohnehin klar.“ Eine solche Routine ist laut Joachim Bauer ein zweischneidiges Schwert. Sie ist nichts gänzlich Schlechtes, denn keine Überraschung befürchten zu müssen und zu wissen, was man aneinander hat, entspannt.
Andererseits wird ein Leben, in dem sich das immer Gleiche ständig wiederholt und Überraschungen ängstlich vermieden werden, irgendwann langweilig. „Du bist kein Anderer mehr, sondern ein Teil von mir.“ Dieses Phänomen findet sich bei manchen Paaren bis zur Karikatur ausgeprägt, es betrifft in Wahrheit aber alle Paare. Kompetenzen und Begabungen sind zwischen Menschen – und damit auch zwischen denen, die in einer Partnerschaft stehen – sehr unterschiedlich ausgeprägt. Oft finden zwei zueinander, die sich mit ihren Stärken und Schwächen komplementär ergänzen.
In Menschen findet ein ständiger innerer Umbauprozess statt
Joachim Bauer stellt fest: „Was Routinen und Stereotype zum Gift für die Liebe werden lässt, ist, dass sie dem Anderen die anfangs weit geöffneten Türen zu den Möglichkeitsräumen der Selbstentfaltung langsam, aber sicher schließen.“ Nach einer längeren Zeit der Bekanntschaft entwickelt man leicht die falsche und in ihren Folgen fatale Gewissheit zu wissen, wer der Andere ist. Der kleine Ökonom im menschlichen Gehirn würde es begrüßen, wenn es so wäre. Das würde dem Gehirn sozusagen Arbeit ersparen.
Menschen bleiben aber nicht, wie sie sind, sondern unterliegen, abhängig von neuen Eindrücken, die täglich auf sie einwirken, einem ständigen inneren Umbauprozess. Was sich in der Partnerschaft nach einiger Zeit entwickelt, ist eine Art Spaltung: Die wechselseitigen Routineresonanzen gelten der Person, die man zu Beginn der Bekanntschaft war. Da man dem Anderen nicht wehtun und ihn nicht irritieren will, unterwerfen sich beide dem Stereotyp, nach dem sie vom Anderen behandelt werden. Quelle: „Wie wir werden, wer wir sind“ von Joachim Bauer
Von Hans Klumbies