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Narrationen laden zum Miterleben ein

Menschen speichern nicht nur ihre eigenen Erinnerungen als narrative Episoden ab, sondern können auch höchstkomplexe Zusammenhänge weitergeben. Fritz Breithaupt erläutert: „Dabei geht es nicht allein um die Fakten, wer was mit wem gemacht hat. Vielmehr geht es dabei um emotionale Reaktionen und das Machen von Erfahrungen.“ Rezipienten reagieren auf Narrationen sehr ähnlich wie die Erzähler, die ihre eigenen Erlebnisse weitergeben. Anscheinend sind Narrationen derartig erfolgreich, dass sie sequentielle Präsenzen erzeugen. Dergestalt dass die Produzenten und Rezipienten an den gleichen Stellen jeweils ähnliche Erfahrung machen und entsprechende Emotionen durchlaufen. Mitgeteilt, also kommuniziert, werden Narrationen als derartige Mit-Erfahrungsangebote. Den Begriff des Mit-Erlebens benutzt Fritz Breithaupt, um den Prozess einer Rezeption von Narrationen zu beschreiben. Fritz Breithaupt ist Professor für Kognitionswissenschaften und Germanistik an der Indiana University in Bloomington.

Menschen können Erfahrungen teilen und weiterreichen

Fritz Breithaupt stellt fest: „Rezipienten registrieren die Episoden nicht nur, sondern durchlaufen die Handlungssequenzen zumindest ansatzweise so, als befänden sie sich selbst in den erzählten Situationen.“ Dafür benutzt man verschiedene Begriffe, um bestimmte Aspekte zu betonen, wie etwa Transport – man transportiert den Rezipienten in eine narrative oder mediale Welt. Oder den Begriff der narrativen Empathie – der Rezipient empfindet Empathie für eine Figur beziehungsweise kann sich in einer Situation sehen, als wäre er eine Figur.

Der Begriff der Co-Erfahrung oder des Mit-Erlebens betont dabei besonders, dass man als Rezipient Prozesse durchläuft, die sich in eigenen Erfahrungen niederschlagen können. Fritz Breithaupt erklärt: „Das heißt, dass die Erfahrungen meiner Freunde zumindest zu einem bestimmten Maße meine eigenen Erfahrungen werden können. Ich muss nicht jede Erfahrung selbst machen, wir können sie teilen und weiterreichen.“ Daher sind Gruppen, die Geschichten teilen, nicht nur durch ein Vokabular und einem Referenzrahmen von Mythen und Werten verbunden.

Menschen leben in narrativen Echo-Räumen

Sondern es hält sie auch ein Reservoir von abrufbaren Erfahrungen und Perspektiven zusammen. Das Teilen der Erfahrungen in der Form von Narrationen erzeugt Verbindungen zu den Mitmenschen, die sich untereinander verständlich machen. Denn sie erleben die Welt in ähnlichen Mustern, Rollen und Handlungsabfolgen. Menschen leben in narrativen Echo-Räumen. Es kann natürlich auch passieren, dass man sich quasi im falschen Film, das heißt in der falschen Narration gefangen fühlt.

Zumindest steckt man häufig in den Mustern von narrativen Rollen etwa mit Ausbeutern und Ausgebeuteten oder Helden und Versagern oder mit Liebenden oder Betrügern fest. Fritz Breithaupt weiß: „Entsprechend bauen wir unsere narrativen Emotionen nach Mustern auf, die uns vertraut sind. Für derartige Phänomene benutzen Psychologen gerne den Begriff des Schemas. Schema heißt so etwas wie Bild, Umriss, Schatten oder Grundidee.“ Für die Zwecke von Fritz Breithaupt ist dieser Begriff aber ungeeignet. Denn das Schema unterschlägt die Zeitlichkeit in Narrationen, da das Schema bereits den Gesamtlauf als ein Bild erfasst. Quelle: „Das narrative Gehirn“ von Fritz Breithaupt

Von Hans Klumbies

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