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Es gibt kein Bewusstsein ohne Selbstbewusstsein

Eine der bemerkenswerten Tatsachen des Bewusstseins besteht laut Markus Gabriel darin, dass man eigentlich nicht wirklich bestreiten kann, dass man bewusst ist. Diese Unhintergehbarkeit des Bewusstseins verbirgt sich hinter dem wohl bekanntesten Satz der neuzeitlichen Philosophie. Nämlich René Descartes` unendlich oft zitiertem: „Ich denke, also bin ich.“ In seinen „Meditationen über die erste Philosophie“ drückt er diesen Gedanken folgendermaßen aus: „Denken? Hier liegt es: Das Denken ist`s, es allein kann von mir nicht getrennt werden. Wie lange aber? Nun, solange ich denke. Denn vielleicht könnte es sogar geschehen, dass ich, wenn ich ganz aufhörte zu denken, alsbald auch aufhörte zu sein.“ Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Menschen bewerten dauernd ihre bewusst erlebten Gedanken

Selbstbewusstsein bedeutet einerseits den Umstand, dass Menschen bewusst sind und sich ausdrücklich damit, also mit ihrem Bewusstsein, beschäftigen. Selbstbewusstsein ist andererseits allerdings genaugenommen ein viel alltäglicheres Phänomen, als es in dieser Perspektive erscheinen mag. Menschen beziehen nämlich dauernd Stellung zu ihren eigenen geistigen Zuständen, zu ihren Gedanken, ohne ausdrücklich darüber zu reflektieren, dass sie über ihr Bewusstsein nachdenken. Heute ist die Ansicht verbreitet, es gebe eigentlich kein Bewusstsein ohne Selbstbewusstsein. Die beiden seien irgendwie untrennbar miteinander verwoben.

Menschen bewerten andauernd die Gedanken und Eindrücke, die sie bewusst erleben. Natürlich kann man sich über einen Gedanken oder einen sinnlichen Eindruck freuen oder auch ärgern. Markus Gabriel erklärt: „Ein großer Teil der menschlichen Gefühlswelt hat die Form des Selbstbewusstseins. Diese besteht nicht darin, dass wir unsere Innenwelt mit einem nach innen gerichteten Blick erforschen, sondern darin, dass intentionales und phänomenales Bewusstsein prinzipiell verschränkt sind.“

Die moralischen Werte sind an die Gefühlswelt gekoppelt

Menschen haben keine Bewusstseinszustände, ohne dass diese ihnen bereits auf eine bestimmte Weise bewertet erscheinen. Auf dieser Grundlage wird es erst verständlich, warum die moralischen Werte eines Menschen an seine Gefühlswelt gekoppelt sind. Weil Menschen überhaupt erst deswegen moralfähig sind, wenn sie ein Bewusstsein davon haben, dass andere auch ein Bewusstsein haben, und diese Struktur alltäglich als dauernd neu zu kalibrierendes Wertesystem erleben.

Die erzählende Literatur und die Lyrik haben über Jahrtausende dazu beigetragen, dass man zu einem besseren Verständnis des menschlichen Bewusstseins gelangt ist. Die wissenschaftliche Disziplin der Psychologie entsteht kaum zufällig in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Gefolge literarischer Höhenflüge der Selbsterkundung. Sigmund Freud, der Durchbrüche in der Psychoanalyse errang, verfügte über profunde Kenntnisse von Mythologie, Kunst und Literatur. Die Geistesgeschichte ist unter anderem eine Geschichte der Erweiterung und Veränderung des Bewusstseins. Quelle: „Ich ist nicht Gehirn“ von Markus Gabriel

Von Hans Klumbies

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