Eine Affäre wirkt sich extrem spaltend auf eine Ehe aus
Eine Affäre, die sowohl vollkommene Anteilnahme als auch Geschlechtsverkehr beinhaltet, ist überaus mächtig. Sie ist wie eine Schlinge aus ineinander verflochtenen Strängen von Zuneigung, geteilter Erfahrung und sexuellem Vergnügen. Es ist für Shirley P. Glass nicht schwer zu verstehen, warum Affären dieses kombinierten Typs extrem spaltend auf eine Ehe wirken und warum sie am schwierigsten zu verarbeiten sind. Shirley P. Glass erklärt: „Der Schritt zum ersten Kuss ist ein größerer als der vom Küssen zum Geschlechtsverkehr.“ Viele Männer definieren Untreue durch Geschlechtsverkehr. Andere körperliche Intimitäten „zählen nicht“. Für Frauen dagegen wird die Schwelle zur Untreue überschritten, sobald irgendeine Art sexueller Intimität stattfindet, wie zum Beispiel romantisches Küssen. Dr. phil. Shirley P. Glass war niedergelassene Psychologin und Familientherapeutin. Sie starb im Jahr 2003 im Alter von 67 Jahren an einer Krebserkrankung.
Ehen sind heute stärker bedroht als in der Vergangenheit
Wenn Shirley P. Glass Menschen sagen hört, dass sie nicht mehr in ihre Ehepartner verliebt sind, vermutet sie immer, dass sie eine Langzeitbeziehung unfairerweise mit einer gerade begonnenen Beziehung vergleichen. Das erste Stadium einer romantischen Liebe ist immer aufregend. Ehen dagegen gehen in eine lebenswirklichere Phase der Liebe über: Man teilt eine Vergangenheit, arbeitet an gemeinsamen Zielen und akzeptiert die jeweiligen Macken. Dieses mittlere Stadium ist hart. Affären behalten selten ihre rosige Aura, wenn sie vom Schattendasein ins harte Licht des Alltags wechseln.
Beziehungen, in denen Sex gleich zu Beginn stattfindet, erreichen mit geringerer Wahrscheinlichkeit denselben Grad an emotionaler Intimität wie diejenigen, in denen der Sex aufgeschoben wurde. Aus diesem Grund werden Freundschaften, die auf emotionaler Ebene aufbauen, bevor der Sex Einzug hält, eher als tiefe emotionale Verbindungen wahrgenommen. Nachdem heute viel mehr Männer als früher sexuelle Affären inklusive einer emotionalen Bindung haben, ist die Ehe stärker bedroht und Scheidung eher wahrscheinlich als in der Vergangenheit.
Frauen beginnen außerehelichen Beziehungen meist mit einer emotionalen Bindung
Traditionellerweise haben sich Männer eher als Frauen wegen sexueller Anziehung auf außereheliche Beziehungen eingelassen. Shirley P. Glass stellt fest: „Männer sexualisieren, Frauen romantiseren. Wenn Beziehungen in erster Linie sexuell bleiben, stellen sie selten eine Gefahr für die Dauerhaftigkeit der Ehe dar, es sei denn, sie werden entdeckt.“ Und Affären, bei denen es ausschließlich um Sex geht, werden weniger wahrscheinlich aufgedeckt. Frauen beginnen außereheliche Beziehungen in der Regel mit einer emotionalen Bindung, die zu Sex führen kann oder auch nicht.
Untreue Frauen, die außerehelichen Geschlechtsverkehr haben, sind jedoch sehr wahrscheinlich in ihren Liebhaber verliebt. Das ist laut Shirley P. Glass einer der Gründe, weswegen ihre Affären mit geringerer ehelicher Zufriedenheit assoziiert werden und eher zur Scheidung führen. Die sozialen Normen der Gegenwart verurteilen Frauen, sie sich sexuell auf jemand anderen einlassen, und Männer, die eine außereheliche emotionale Bindung eingehen. Deswegen stellen Affären dieses Typs eine sehr große Bedrohung dar, da sie sowohl gesellschaftliche Regeln verletzen als auch sich in Bereichen abspielen, die die größtmögliche Eifersucht hervorrufen. Quelle: „Die Psychologie der Untreue“ von Shirley P. Glass
Von Hans Klumbies