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Ein perfekter Körper verschafft Bewunderung

Vielen Menschen tritt der eigene Körper als ein beherrschbares und manipulierbares Objekt entgegen. Er wird zu einem Schauplatz der Selbstversicherung. Das geschieht in einer Zeit, in der so viele Bereiche des Lebens fragil geworden sind und sich der eigenen Kontrolle entziehen. Ernst-Dieter Lantermann schreibt: „Die Gewissheit unserer Herrschaft über den Körper lässt uns die Unsicherheiten leichter ertragen oder vergessen, an denen wir uns im täglichen Leben reiben. Ein perfekt aufgerüsteter Körper verschafft uns nicht nur Anerkennung und Bewunderung. Er wird auch zum Garanten unserer Selbstsicherheit und Selbstwertschätzung, unserer sozialen Identität. Ja er wird sogar zum Garanten eines mit Sinn und Energie erfüllten Lebens.“ In ihrer Streitschrift „Wir Schönheits-Junkies. Plädoyer für eine gelassene Weiblichkeit“ verweist Christian Zschirnt darauf, dass noch nie der bloßen Tatsache, im „richtigen“ Körper zu stecken, so viel Bedeutung verliehen worden sei wie heute. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

Im schönen Körper findet die Jugend zu sich selbst

Nie zuvor habe ein perfekter Körper als die Lösung aller Probleme gegolten. Heute solle er die Antwort auf Identitätskrisen, Leistungsschwächen, Selbstachtungsdefizite, Einsamkeit, Lieblosigkeit sein. All das werde verschwinden, so das große Versprechen. Wenn man erst im richtigen Körper steckt, dann kämen auch der richtige Partner, die richtigen Freunde, der richtige Job und das richtige Leben. Für viele Menschen ist die Art und Weise, wie sie mit ihrem Körper verfahren, wie sie dessen Grenzen ausloten, ihn testen und nach eigenen Vorstellungen modellieren und optimieren, zu einer umfassenden Lebensaufgabe, zu ihrem Lebensstil geworden.

Und gerade jüngere Menschen fühlen sich oft nur dann anerkannt, beliebt und wertvoll, wenn es ihnen gelingt, zumindest für einige Momente so perfekt und schön auszusehen wie ihr – in der Regel medial vermitteltes – Schönheitsideal. Ernst-Dieter Lantermann erklärt: „Für sie ist nur ein schöner Körper ein guter Körper. Und nur mit einem schönen Körper finden sie zu sich selbst. Sie entdecken ihre Identität in einer Welt, die ihnen ansonsten keine Orientierungen mehr anbietet für die Entwicklung einer gefestigten sozialen Identität.

Maximale Körperkontrolle verspricht Sicherheit

Für andere Menschen stellt der eigene Körper zuallererst eine Gelegenheit dar, ihrem ausgeprägten Bedürfnis nach Einfluss und Kontrolle nachgehen und gerecht werden zu können. Mit einer maximalen Körperkontrolle versprechen sie sich einen Zuwachs an genereller Sicherheit ihrer Lebensführung. Diese vermittelt und sichert ihnen auch in Zeiten höchster Ungewissheiten ein hohes Vertrauen in die Gestaltbarkeit ihres Schicksals. Eine besondere Ausprägung dieser kontrollierenden Haltung dem eigenen Körper gegenüber hat in den vergangenen Jahren einen ungeahnten Aufschwung genommen. Dieser wurde erst durch die rasante Entwicklung digitaler Technologien möglich. Die Selbstvermessung des eigenen Körpers boomt.

Ernst-Dieter Lantermann erläutert: „Diese Bewegung steht gegenwärtig noch in ihren Anfängen. Aber nach den verfügbaren Zahlen kann man davon ausgehen, dass diese Art des Umgangs mit dem eigenen Körper von immer mehr Menschen als ein attraktive und im guten wie im schlechten Sinne dem Zeitgeist entsprechende Möglichkeit wahrgenommen wird, auf lustvolle, aufregende und entlastende Art und Weise ihre Unsicherheitserfahrungen in einer ungewissen und gefahrenvollen Welt zu bewältigen.“ Quelle: „Die radikalisierte Gesellschaft“ von Ernst-Dieter Lantermann

Von Hans Klumbies

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