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Echte Begegnungen sind selten

Eine der sichersten und schönsten Wege, mit sich selbst in Kontakt zu sein, besteht paradoxerweise darin, mit anderen in Kontakt zu stehen. Das Paradoxe daran ist, dass die Menschen sich hier ja nicht primär selbst wahrnehmen, sondern eben jemand anderen. Georg Milzner weiß: „Wirkliche Begegnung ist niemals der Feind der Selbstaufmerksamkeit. Diese würde nur da gefährdet, wo die Fremdaufmerksamkeit ausschließlich funktional gespendet würde.“ Wer beispielsweise als Arzt einem Burn-out-Syndrom erliegt, der hat ja nicht ständig bereichernde Begegnungen erlebt. Sondern eine unbefriedigende Durchschleusung von Patientenreihen, die ein echtes Miteinander nicht möglich macht. Fehlende Selbst- und fehlende Fremdaufmerksamkeit sind daher zwei Seiten derselben Medaille. Das Spenden dichter Aufmerksamkeit, erhöht zugleich die Selbstwahrnehmung, indem nämlich jede gelingende Begegnung ein Spannungsfeld erzeugt. Georg Milzner ist Diplompsychologe und arbeitet in eigener Praxis als Psychotherapeut.

Gemeinschaft ist überall möglich

In diesem Spannungsfeld werden Selbst- und Fremdaufmerksamkeit wechselseitig hin und her gespielt. Nun scheint die aktuelle Lebenswelt wie kaum eine zuvor zu verhindern, dass es zu echten Begegnungen kommt. „Wenn wir vor einem Schaufenster stehen“, schreibt der spanische Soziologe César Rendueles, „gibt es keine Gemeinschaft, auch keine digitale.“ Das klingt auf den ersten Blick überzeugend und angenehm konsumkritisch, ist aber auf den zweiten Blick falsch.

Denn Gemeinschaft ist prinzipiell überall möglich, wo sich mehr als ein Mensch aufhält. Auch beim Shoppen. Ein Weg zu einem neuen Selbstgefühl besteht im Herstellen wirklicher Begegnungen, und dies möglichst täglich. Oft betreffen diese Begegnungen jemand, den man zuvor nicht kannte. Zum Beispiel einen Kellner, eine DHL-Boten, jemanden, den man in eine Parklücke winkt. Momente vor einem Schaufenster, die aber plötzlich zu Begegnungen werden. Sie sind so alltäglich, dass sie jedem Menschen möglich sind.

Alles Ich ist Körper-Ich

Alles, was man braucht, ist die Bereitschaft dafür. Diese aber steigert sich mit jeder Begegnung. Weil man diese nämlich bereichert und mit einem intensiveren Selbstgefühl wieder verlässt. Auch da, wo Computertechnologie mitspielt, sind Begegnungen möglich, die das Selbstgefühl stärken. Denn die Technik muss beim Gespräch und bei Begegnungen keineswegs als Feind angesehen werden. Im Gegenteil, man kann sie nutzen. Alles Ich, wie Sigmund Freund betont, ist Körper-Ich.

Georg Milzner stellt fest: „Unser Selbsterleben hängt an unserer Körpererfahrung, ebenso wie umgekehrt der Selbstverlust auch zugleich Körperverlust ist.“ Als einen Weg der Neuerschließung des Selbst schlägt Georg Milzner eine Körpererfahrung vor. Eine, die mit dem sogenannten Bauchgefühl zu tun hat. Das ist ein modischer Begriff geworden. Aber Moden müssen ja nichts Schlechtes sein. Das Bauchgefühl jedenfalls ist mehr als eine Mode. Was aber ist es dann genau? Vielleicht so etwas wie eine zweite, gewissermaßen aus dem Bauch heraus denkende innere Ebene? Quelle: „Wir sind überall, nur nicht bei uns“ von Georg Milzner

Von Hans Klumbies

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