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Die Theorie der Depression von Erwin W. Straus

Die Phänomenologie und die Existenzphilosophie haben die Tendenz, in der subjektiven Erfahrung der Zeit des Daseins die innerste Lebenserwartung eines Menschen zu sehen. Der tätige Mensch, der sicher im Leben steht, bemerkt den Zeitstrom in seinem Inneren kaum. Er ist ganz auf seine Ziele und Beziehungen ausgerichtet. Die Zeit wird für den Menschen erst zum Problem, wenn er Langeweile verspürt, auf etwas wartet, sich ängstigt oder keine Beschäftigung hat. Dann kann der Zeitfluss ins Stocken geraten. Dann verändern sich die Innen- und die Außenwelt des Menschen. Er muss sich dann mit seinem eigenen Selbst auseinandersetzen.

Depressiven wächst schon die kleinste Aufgabe über den Kopf

Erwin W. Straus nennt das Zukünftige die eigentliche Zeitdimension, da in der Zukunft die Möglichkeiten des Menschen liegen. Nur wer eine Zukunft vor sich hat, kann den gegenwärtigen Augenblick sinnvoll erleben. In dem Fall wird ihm das Vergangene nicht zur Last, sondern zur Quelle der Erfahrung, zum Modell einer zukünftigen Verwirklichung seines Selbst. Eine Zukunft hat aber nur der handelnde und tätige Mensch, der voller Zuversicht aus der Gegenwart in den Raum der Möglichkeiten voranschreitet.

Bei Patienten, die Angst haben, zwanghafte Handlungen ausführen oder Depressionen haben, fehlt laut Erwin W. Straus das Ergreifen des möglichen Selbstseins. Sie erfahren sich als passive Objekte des Lebensgeschehens, denen weder eine Synthese des Lebens noch der Zeit gelingt. Sie fühlen sich von allen Anforderungen des Lebens überfordert, jede kleine Aufgabe wächst ihnen über den Kopf. Aus dieser Stockung des Flusses der Zeit meint Erwin W. Straus die Zwangssymptome, den Zwang zur Kontrolle, des Grübelns und Zweifelns, aber auch das depressive Verharren in eingebildeter Schuld, von Reue und Selbstkritik begreifen zu können.

Kurzbiographie: Erwin W. Straus

Erwin W. Straus wurde am 11. Oktober 1891 in Frankfurt am Main geboren. Er studierte Medizin und schrieb seine Dissertation über eine Suchtkrankheit. Bereits 1931 wurde er in Berlin wegen seiner Grundlagenforschungen im Bereich der Psychiatrie zum Psychiatrieprofessor ernannt. 1935 erschien sein berühmtes Buch „Vom Sinn der Sinne“ mit dem Untertitel „Beitrag zur Grundlegung der Psychologie“.

Von Hans Klumbies

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