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Die spätmoderne Gesellschaft ist vulernabel

Soziologen und Rechtswissenschaftler beschreiben mitunter die gesamte Gesellschaft als vulnerabel. Frauke Rostalski nennt ein Beispiel: „Andreas Reckwitz sieht die spätmoderne Gesellschaft einer Vielzahl von Risikokonstellationen ausgesetzt – wie beispielsweise dem Klimawandel, der Instabilität der globalen Sicherheitsarchitektur und der hohen Abhängigkeit von komplexen Technologien, die mit der Digitalisierung einhergeht.“ Seine Diagnose lautet: Die spätmoderne Gesellschaft lasse sich als „gesteigert vulnerable Gesellschaft“ beschreiben. Dies stößt auf Zuspruch aus dem Kreis der Rechtswissenschaften. Darin finden sich Stimmen, welche die Gesellschaft in einer Pandemie als vulnerabel begreifen. Das pandemische Geschehen schlage bis auf die private Ebene des menschlichen Miteinanders durch und beinträchtige den Einzelnen unmittelbar und weitreichend in seiner individuellen Lebensführung. Frauke Rostalski ist Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie, Wirtschaftsrecht, Medizinstrafrecht und Rechtsvergleichung an der Universität zu Köln.

Das Konzept der Vulnerabilität spielt in verschieden Wissenschaften eine große Rolle

Erschwert werde dies noch durch ständige Wissensdefizite, die immer neue, teils eingriffsintensive Anpassungen erforderlich machen. Frauke Rostalski erklärt: „Dadurch werde die gesellschaftliche Funktionsfähigkeit so umfangreich eingeschränkt, dass die Rede von einer vulnerablen – also besonders verletzlichen – Gesellschaft gerechtfertigt sei.“ Einen Fokus möchte Frauke Rostalski im Folgenden auf die Philosophie von Emanuel Lévinas richten, der sich um den Begriff der Verletzbarkeit in besonderer Weise verdient gemacht hat.

Zunächst lohnt aber noch ein Blick auf andere Wissenschaften. Außer in der Medizin spielt das Konzept der Vulnerabilität nämlich eine besondere Rolle in der Psychiatrie, der Klinischen Psychologie und der Gesundheitspsychologie. Frauke Rostalski erläutert: „Vulnerabilität gibt in diesen Feldern Aufschluss darüber, in welchem Maß eine Person dem Risiko psychischer Störungen ausgesetzt ist. Sie umfasst die Merkmale einer Person, ihrer Lebenslage und ihrer Umwelt, die einen Beitrag dazu leisten, dass die Bewältigung von Belastungssituationen erschwert wird beziehungsweise sich hieraus schwerwiegende Folgen ableiten.“

Die Resilienz ist bei Menschen ganz unterschiedlich ausgeprägt

Verletzlichkeit wirkt sich negativ auf die Autonomie des Menschen und dessen Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe aus. Frauke Rostalski ergänzt: „Der Betreffende ist in besonderer Weise auf die Unterstützung anderer angewiesen. Allerdings lässt sich beobachten, dass Menschen ganz unterschiedlich auf vergleichbare Belastungssituationen reagieren.“ Nicht jeder beantwortet einen schweren Schicksalsschlag mit psychischer Auffälligkeit oder mentalen Störungen. Grund dafür ist die individuelle Widerstandsfähigkeit, die bei Menschen ganz unterschiedlich ausgeprägt ist.

Frauke Rostalski weiß: „In der Psychologie und Psychopathologie hat sich hierfür der Begriff der Resilienz herausgebildet. Gemeint sind damit psychische Qualitäten des Individuums, die ihm besondere Verarbeitungs- und Bewältigungskapazitäten bereitstellen.“ Zu diesen „Ressourcen“ gehören beispielsweise die Fähigkeiten, seine Gefühle zu kontrollieren, sich an frühere Bewältigungsversuche zu erinnern und Optimismus für den Umgang mit einer aktuellen Belastung zu schöpfen. Für die individuelle Widerstandsfähigkeit spielt außerdem die Einbindung in ein funktionierendes soziales Netzwerk und der Zugang zu institutionellen Unterstützungssystemen eine Rolle. Quelle: „Die vulnerable Gesellschaft“ von Frauke Rostalski

Von Hans Klumbies

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