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Die Sexualität ist nicht mehr schambesetzt

Von Beginn des 20. Jahrhunderts an lieferten die visuellen Brachen wie Kino und Werbung Bilder schöner sexueller Körper. Die lösten bei Betrachtern Begehren aus. Eva Illouz stellt fest: „Durch die visuelle Kultur entwickelte sich die Sexualität zu einem sichtbaren Merkmal des Selbst.“ Sie war kein verborgener Teil der eigenen Innerlichkeit mehr und auch keine schambesetzte Identität, die nur in der Privatsphäre der psychoanalytischen Praxis offenbart werden konnte. Es handelte sich jetzt um eine visuelle Darbietung, der sichtbare Konsumgegenstände statt sündiger Gedanken und Begierden innewohnten. Eine solche Sexualität war durch modische Kleidung oder Kosmetik vermittelt. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.

Die sexuelle Befreiung wurde zu einer kulturellen Praxis

In der sexuellen Attraktivität verbanden sich die Sphären des Sexuellen und des Konsums. Die visuelle Konsumsphäre gewann im Laufe des 20. Jahrhunderts eine außerordentliche kulturelle und wirtschaftliche Stärke. Sie verwandelte die sexuelle Identität in eine durch Verbrauchsartikel vermittelte visuelle Darbietung. Die sexuelle Befreiung wurde zu einer kulturellen Praxis, die sich durch eine Reihe von Signifikanten, Kodes und Stilen auszeichnete. Zudem fanden erotische und sexuelle Begegnungen zunehmend an Orten der Freizeitgestaltung statt.

Dazu zählt Eva Illouz Bars und Tanzlokale, Clubs und Diskotheken, Autokinos, Urlaubshotels und Strände. Die Erotik und die Sexualität verwandelten sich in eine durch ein ganzes Spektrum von Verbraucherpraktiken konsumierte unmittelbare Ware. Und noch auf eine andere Weise wurde die Sexualität in die Kultur des Konsums integriert. Denn mit der von religiösen Vorschriften befreiten Sexualität erblühte ein entsprechender Markt für Orientierungshilfe in Sachen Sex. Dieser Markt lässt sich grob in drei Branchen einteilen.

Die Sexualität entwickelte sich zu einer Ware

Da war zum eine die therapeutisch-pharmakologische Industrie mit ihren diversen Dienstleistungen, wie sie von Therapeuten, Sexualwissenschaftlern und Pharmaherstellern angeboten wurden. Eine zweite Branche bildeten die Produzenten von Sexspielzeug zur Förderung der sexuellen Leistung. Die dritte war der industrielle Komplex von Werbung und Film, der mit Leitbildern für das sexuelle Fluidum, Erscheinungsbild, Verhalten und Zusammenspiel mit anderen aufwartete. All diese Angebote befreiten und formten die Sexualität und kreierten neue visuelle Richtwerte für sie.

Die Therapeuten erkannten in der freien Sexualität ein Qualitätsmerkmal der Identität und der geistigen Gesundheit. Diese waren durch die Erforschung der eigenen Psyche gewissenhaft auszugestalten. Für die Beschäftigten im visuellen und industriellen Komplex steuerte eine befreite Sexualität neue Schauwerte bei. Und die Hersteller von Sexspielzeug propagierten den Rückgriff auf Hilfsmittel und technische Vorrichtungen, um die sexuelle Lust und Leistung zu steigern. In allen drei Branchen entwickelte sich die Sexualität zu einer Ware, die konsumieren muss, wer Wohlbefinden und Lust erlangen möchte. Quelle: „Warum Liebe endet“ von Eva Illouz

Von Hans Klumbies

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