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Alexander Mitscherlich nähert sich der Aggression

Heftigkeit, Beweglichkeit und die leichte Weckbarkeit aggressiven Verhaltens sind für Alexander Mitscherlich typische Artmerkmale des Menschen. Da die Aggression gewöhnlich das menschliche Zusammenleben stört, richtet sich häufig die Moral gegen sie. Aus der Aggression entwickelt sich dadurch eine Untugend. Es gibt aber auch den gegenteiligen Effekt. Die Aggression rkmals ein, gepaart mit Heldentum und männlicher Tugend. Alexander Mitscherlich schreibt: „Richtet sie sich gegen Feinde, ist sie von Beifall gefolgt, unter Freunden und Bekannten soll sie schweigen.“ Es wird viel List eingesetzt, um der Aggression einen freien Lauf zu garantieren. Feinde müssen gefunden, wenn nicht gar erfunden werden, damit sie befriedigt werden kann.

Aggression und Liebe verfügen über eine ähnliche Dynamik

Sigmund Freud unterscheidet die Triebquelle, das Triebobjekt und das Triebziel. In der inneren Dynamik sind sich die Aggression und die Liebe als Triebabkömmlinge sehr ähnlich. Das zeigt sich darin, dass die Menschen Liebes- und Hassobjekte besitzen, und dass die Besetzung der Objekte mit der einen oder anderen Energieform wechseln kann. Ein Objekt der Liebe kann sich in eines des Hasses verwandeln und umgekehrt. Der einzelne Trieb ist laut Alexander Mitscherlich eine begriffliche Abstraktion, denn im Leben kommt die Aggression ebenso wenig wie die Libido selbstständig vor.

Individuelle und kollektive Aggression sind im Angriff auf ein fremdes Territorium enthalten, das ein anderen oder andere besitzen. Sie sind ebenso als Verteidigung bei dem weckbar, der angegriffen wird. Alexander Mitscherlich schreibt: „Aggression dient dann zum Selbstschutz und dem Schutz der Ansprüche der eigenen Gruppe. Das Eigenterritorium hat dann die Qualität des Zufluchtsortes und wird deshalb in so vielen Variationen bis hin zur Abstraktion des sichernden Geldbesitzes verteidigt.“

Die Gene übermitteln das Handeln in einer gewissen Rolle

Aggressive Rivalität überlässt die Entscheidung über den Besitz dem Stärkeren und Gewandteren. Das Schicksal des Schwächeren wird durch die Stufensysteme der Rangordnung bis hin zur absoluten Bedeutungslosigkeit bestimmt. Wie der Mensch in seiner jeweiligen Rolle zu handeln hat, wird ihm laut Alexander Mitscherlich in seinen Genen übermittelt.

Die seelische Instanz des Ichs versteht es in normalen Zeiten mehr oder weniger geschickt, die Durchbrüche wilder Aggression und auch wilder Selbstdestruktion zu kontrollieren. In Extremsituationen wie beispielsweise der Schlacht um Stalingrad im Zweiten Weltkrieg wird die Realitätskritik des Ichs ignoriert. Alexander Mitscherlich erklärt: „Selbst Einsicht in die Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit einer Lage vermag und nicht zu einer Änderung unseres Verhaltens zu veranlassen.“ Die Instanz des Ich hat resigniert und schweigt.

Von Hans Klumbies

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