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Vieles ist dem Geist verborgen

Wenn Menschen das Gewicht vom äußeren auf den inneren Bereich des Bewusstseins verlagern, versinken sie in sich selbst. Und indem sie in sich selbst versinken, versinken sie auch in der Vergangenheit. David Gelernter erläutert: „Unser subjektives Ich ist ein Subjekt. Dieses befindet sich in der Zeit wie eine Straße oder ein Baum im Raum. Das Leben eines Menschen ist eine Art Dorf in der Zeit. Dazu gehören tausend kleine in die Zeitlandschaft gesprenkelten Gebäude, von denen die meisten in der frühen Kindheit entstanden.“ Jedes Leben enthält Augenblicke, die dem menschlichen Geist verborgen sind. Die meisten von ihnen bekommt man nie zu Gesicht, aber manchen begegnet man noch einmal. Man ruft die Erinnerungen manchmal nicht nur ab, sondern bewohnt sie noch einmal. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.

Vor dem Traum tritt der Mensch in alte Erinnerungen ein

Die gespenstige Fähigkeit, noch einmal in Erinnerungen aus vergangenen Zeiten einzutreten und sie nicht nur zu kennen, sondern auch noch einmal zu erleben, ist ein bestimmendes Merkmal der geistigen Realität. Solche Augenblicke vergangener Zeiten werden in einem Menschen hinter verschlossenen Türen auf ewig bewahrt. Wenn ein Mensch tief genug taucht, kann er die Türen finden. Dann kann er das Schloss öffnen und noch einmal in die unverhüllte Vergangenheit eintreten. Genau wie er sie beim ersten Mal erlebt hat.

Wenn sich ein Mensch dem Schlaf nähert, durchläuft sein Geist eine Reihe seltsamer Zustände, an die er sich fast nie erinnert. Jenseits der Schwelle zur Halluzination, halluziniert man, als würde man träumen. Aber die Entstellungen des tatsächlichen Träumens haben noch nicht begonnen. Man tritt in alte Erinnerungen ein, wie sie wirklich angelegt sind, und nicht in ihre veränderte Traumform. David Gelernter erklärt: „Insgeheim wurden wir dabei in der Zeit zurück bis zu Situationen geleitet von denen wir glaubten, sie seien für immer vergangen.“

In den Träumen kehrt die Vergangenheit zurück

Im Schlaf wechselt der Mensch von der äußeren in die innere Realität. Eine Studie über den zeitlichen Bezug von Träumen aus dem Jahr 1965 von Paul Verdone kommt zu folgendem Ergebnis: „In den ersten 3,5 Stunden der Schlafperiode bezogen sich die Traumberichte auf Elemente, die in der Realität während der letzten Woche aufgetreten waren; in den nächsten 4 Stunden bewegte sich der zeitliche Bezug zurück zu immer entfernteren Ereignissen …, bis sich nach ungefähr 7,5 Stunden der Schlafperiode der zeitliche Bezug wieder in Richtung kürzer zurückliegender Ereignisse umkehrt.

In den Gedanken beim Einschlafen und in den Träumen kehrt die Vergangenheit zurück. Dort befindet man sich wieder in der Gegenwart von Menschen, die man liebt und die nicht mehr da sind – oder zwischen Menschen oder an Orten, die zentrale Bestandteile der Kindheit waren. Man durchlebt diese Erfahrungen, und doch sind sie einem nicht zugestoßen, weil man sich nicht an sie erinnert. Aber wiederholte Erlebnisse dieser Art können das Ich auf andere Weise verändern: Sie können die eigene Persönlichkeit durch direkten Druck belasten, oder sie hinterlassen in einem Menschen das unheimliche Gefühl, dass unmittelbar hinter dem Horizont etwas Wichtiges geschehen ist. Quelle: „Gezeiten des Geistes“ von David Gelernter

Von Hans Klumbies

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