Viele Menschen wissen nicht um den Schmutz in ihrer Seele
Rotraud A. Perner kritisiert, dass leider die meisten Menschen auf die reinigende Kraft der Schuldverschiebung vertrauen. Der Psychologe Thomas Kornbichler mahnt: „Viele wissen nicht um den Schmutz in der eigenen Seele und projizieren ihn deshalb fanatisch auf ihre Feindobjekte.“ Denn das ist die Funktion von Feindbildern: Man kann ihnen leichter Schuld andichten als Nahestehenden, die einen zur Rechenschaft ziehen könnten. Da wird meist weitergelogen, obwohl das eine Chance wäre, sich echt zu entschuldigen. Unecht sind auch stellvertretende Entschuldigungen. Egal ob sich Politiker mit der Gnade der späten Geburt für den Holocaust entschuldigen oder irgendwelche Funktionsträger für katastrophale Fehlhandlungen ihrer Soldaten – es wird die direkte Konfrontation mit den Geschädigten oder ihren Nachfahren vermieden. Rotraud A. Perner ist Juristin, Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin und absolvierte postgraduale Studien in Soziologie und evangelischer Theologie. Eines ihrer zahlreichen Bücher heißt „Die reuelose Gesellschaft“ und ist im Residenz Verlag erschienen.
Kein Papst hat sich für die Hexenverbrennung entschuldigt
Für das jahrhundertelange Unrecht an Frauen, die unter dem Vorwand ihre Seele zu retten, sadistisch als Hexen gefoltert und verbrannt wurden, hat sich beispielsweise noch kein Papst entschuldigt. Solange Schuldige am Leben sind, muss man von ihnen Reue einfordern, und wenn sie ausweichen wollen, sich ihnen in den Weg stellen. Das bedeutet, weiter Verschiebungen oder auch Fluchtwege zu blockieren. Der Prozess der Reue besteht für Rotraud A. Perner in der Bereitschaft zur Öffnung des Herzens.
Es gilt, sich selbst und besser zu erziehen als diejenigen konnten, die von ihren Interessen geleitet waren. Rotraud A. Perner warnt: „Es ist zwar entlastend, die Verantwortung für eigenes Fehlverhalten auf die Eltern, die Umstände oder irgendwelche traumatischen Erfahrungen zu schieben, aber man bleibt dabei ein Duckmäuser.“ Es bieten sich aber auch Angehörige von Elternersatzberufen als Projektionsflächen an, zum Beispiel Therapeuten. Es gehört zu den Kindheitstaktiken, wenn ein Elternteil nein sagt, zum anderen zu gehen und nach einer angenehmeren Antwort zu suchen und dann den einen gegen den anderen auszuspielen.
Neurotische Störungen beruhen auf sexuellen Traumata
Verstärkt wird der entwicklungshemmende Selbstschutz vor der Selbsterkenntnis auch durch die in den Medien veröffentlichten Entschuldigungsstrategien von Strafverteidigern. In ihrem Beruf man oft sehr kreativ sein, um Gründe oder auch Theorien zu finden, mit denen sich das Fehlverhalten der jeweiligen Beschuldigten erklären oder auch als unvermeidbar behaupten lässt. Rotraud A. Perner fügt hinzu: „Und die findet man, aber meist sind diese Theorien schon veraltet wie beispielsweise die beschwichtigende Sichtweise Sigmund Freuds, Kinder, die von sexuellen Übergriffen berichten, würden Wunschfantasien zum besten geben.“
Ursprünglich hatte Sigmund Freud nämlich seine Erkenntnis publiziert, neurotische Störungen würden auf sexuellen Traumata beruhen, aber der Empörungssturm der Wiener Gesellschaft der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert war so groß, dass er seine Theorie umgestaltete. Die Erfahrung der letzten drei Jahrzehnte hat seine Ersteinschätzung bestätigt. Ein Anwalt kann sich also aussuchen, ob er die ursprüngliche Aussage Sigmund Freuds zitiert oder sein revidierte. Quelle: „Die reuelose Gesellschaft“ von Rotraud A. Perner
Von Hans Klumbies