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Der Antrieb aller Rachesucht ist der Triumph

Karen Horney (1885 – 1952), prominenteste Vertreterin der Neopsychoanalyse, schreibt: „Der Wunsch, sich angesichts des herausfordernden Triumphes zu rächen, mag letztlich der ausschlaggebende Faktor für jede Sucht nach Erfolg, Prestige und sexueller Eroberung sein. Das Verlangen nach Triumph ist ein grundlegender Antrieb aller Rachesucht. […] Macht zu haben, zu kränken, auszubeuten und zu enttäuschen bedeutet vor allem eines – Triumph. […] Dem Phantom des Triumphes süchtig hinterherzujagen, führt dazu, sich in einem Teufelskreis zu verstricken.“ Für Reinhard Haller ist dies wohl die beste Erklärung für die Entwicklung der Rachespirale. Erich Fromm spricht von „rachsüchtiger Destruktivität“, die er als spontane Reaktion auf intensive und ungerechtfertigte Leiden bezeichnet, die einer Person oder eng verbundenen Gruppe zugefügt wurde. Prof. Dr. med. Reinhard Haller war als Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe über viele Jahre Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik. Heute führt er eine fachärztliche Praxis in Feldkirch (Österreich).

Über Rache werden eigene schwere Verletzungen kompensiert

Diese rachsüchtige Destruktion unterscheide sich von normalen defensiven Aggressionen in zwei Punkten: Da sie sich erst nach Erleiden eines Schadens entwickle, handle es sich nicht um eine Verteidigung gegen die drohende Gefahr und sie sei sehr viel intensiver, oft grausam, lustbetont und unersättlich. Nach Meinung des allerdings nicht ganz unumstrittenen amerikanischen Psychiatrieprofessors und Analytikers Charles Socarides (1922 – 2005) resultieren Rachegefühle aus nicht verschmerzten Verlusterlebnissen.

Reinhard Haller erläutert: „Zorn und Schmerz werden nicht durch Trauer verarbeitet, sondern nach außen auf jemand projiziert. Über die Rache werden eigene schwere Verletzungen kompensiert und damit zusammenhängende Ängste kompensiert.“ Deshalb spüre die rächende Person auch keine Schuldgefühle und lege eine pseudo-mutige Haltung an den Tag, bleibe aber gegenüber neuerlichen Kränkungen extrem empfindlich. Rache sei in erster Linie eine Reaktion auf elementare Verluste in der Kindheit, habe auch mit der Unfähigkeit zu tun, Liebe und Hass zu integrieren.

Die Psychoanalyse weist auf sublimierende Aspekte des Rächens hin

Das Rachebedürfnis sei so stark, dass selbst das eigene Verderben in Kauf genommen werde, wenn dadurch dem Opfer Schmerz und Leid zugefügt werden können. Reinhard Haller stellt fest: „Eine wichtige Aufgabe der Rache wird in der Tiefenpsychologie zudem im Schutz vor Schamempfindungen gesehen. Unerträglich gewordene Scham bringe den Racheprozess in Gang. Unbewusste Scham führe zur Wut.“ Um dies zu verhindern, werden die Racheopfer mit Scham belegt, die der Rächer dann selbst nicht zu empfinden braucht.

Hier sieht die Psychoanalyse eine Ansatzmöglichkeit zur konstruktiven Bewältigung von Racheursachen. Wenn nämlich Scham durch psychologische Aufarbeitung mentalisiert werde, nehme das Rachebedürfnis stark ab und die Bereitschaft zur Versöhnung stark zu. Von psychoanalytischen Seite wird aber auch, und dies ist für Reinhard Haller sehr erfreulich, auf sublimierende Aspekte des Rächens hingewiesen und von einer „positiven Rache“ gesprochen. Quelle: „Rache“ von Reinhard Haller

Von Hans Klumbies

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