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Narzissten missbrauchen Andere

In sich selbst verliebt zu sein, ist das möglich? Der Narzissmus ist ein psychologischer Befund. Er entwickelt sich, wenn er ein gewisses Übermaß erreicht, zu einer Persönlichkeitsstörung. Peter Trawny ergänzt: „Der Narzisst beginnt unter sich und seiner Selbsteinschätzung zu leiden. Er verschließt sich vor anderen Menschen, überhöht sich unmäßig und ist schmerzhaft anerkennungssüchtig.“ Narzissten bieten dann den anderen Menschen oft ein verführerisches Schauspiel an Freundlichkeit, so dass sie Aufmerksamkeit erzielen. Sie sind dann aber völlig unfähig, andere in ihrer Andersheit wahrzunehmen. Eine Konsequenz ist dann der Missbrauch der Anderen. Man setzt sich ins Licht, erniedrigt andere, damit das eigene Ego größer erstrahlt. In seinen „Metamorphosen“ erzählt Ovid die Geschichte von Narziss. Peter Trawny gründete 2012 das Matin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, dessen Leitung er seitdem innehat.

Die Bergnymphe Echo verhungert in einer Höhle

Es ist eine Geschichte voller Schmerz und Gewalt. Narziss ist der schöne Sohn des Flussgottes Kephissos und der Nymphe Leiriope. Der Gott hat die Nymphe vergewaltigt, will sagen, sie schwamm in ihm. Peter Trawny fügt hinzu: „Der berühmte Seher Teiresias – er taucht auch im „König Ödipus“ des Sophokles auf – sagt dem Jungen ein langes Leben voraus, wenn er sich nicht selbst erkennt.“ Nun geschah, dass sich viele um die Gunst des Schönen bemühten, unter anderem auch die Bergnymphe Echo.

Narcissus verschmäht sie, worauf die Nymphe in einer Höhle verschmachtet. Iuno, die Gattin des Jupiters, der sich häufig mit Nymphen die Zeit vertrieb, hatte Echo bereits bestraft, stets die letzten Worte eines Satzes wiederholen zu müssen. Ein bizarrer Zwang, der Narziss verwirrt. Die Geschichte von Narziss ist auch die des traurigen Untergangs der schönen Nymphe, die aus enttäuschter Liebe verhungert. Peter Trawny erklärt: „Nur Stimme ist übrig und Knochen. Stimme verbleibt; zu Gestein – so sagen sie – wurden die Knochen.“

Narziss verwandelt sich in eine Blume

Das also ist die Entstehung des Echos. Echos Schicksal ruft die Rachegöttin Nemesis auf den Plan. Die sagt: „So mag lieben er selbst, so nie das Geliebte besitzen.“ Narziss nämlich liebte es, sich an einem klaren Weiher aufzuhalten. Peter Trawny erläutert: „Da nun sieht er jemand ungeheuerlich Schönen, in den er sich verliebt. Doch die Liebe bleibt ungestillt. Selbst wenn der Andere ihm ganz nahe kommt, berühren sie sich nicht, können sich nicht berühren. Das stürzt Narziss in schreckliche Liebesqualen.

Doch schließlich erkennt er, was er liebt: „Was ich begehre, ist mein. Zum Schmachtenden macht mich der Reichtum. Dass ich vom eigenen Leib mich doch zu trennen vermöchte.“ Teiresias hat es vorhergesagt: Die Selbsterkenntnis ist der Tod des Schönen. Da beginnt die Verwandlung. Narziss verwandelt sich, stirbt, um Blume zu werden. Man nennt sie Narzisse oder Osterglocke, um an eine andere Verwandlung zu erinnern. Peter Trawny stellt fest: „die Erzählung stellt ziemlich genau den Verlauf einer Rettung dar, einer Therapie.“ Quelle: „Philosophie der Liebe“ von Peter Trawny

Von Hans Klumbies

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