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Nur der Mensch kann über die Zukunft nachdenken

Zwei aus individueller Sicht wichtige Aspekte scheinen Joachim Bauer beim Nachdenken über Wege zu mehr Selbststeuerung von besonderer Bedeutung zu sein. Sie betreffen zum einen die Dimension der Zukunft. Zum anderen betreffen sie die grundsätzliche Notwendigkeit, Stress zu reduzieren. Die Potentiale der Selbststeuerung, nämlich planendes Handeln, Kreativität und Selbstwachstum, lassen sich nicht nur als Fähigkeiten, sondern auch als Bedürfnisse beschreiben. Ein überaus wichtiger Aspekt der Conditio humana ist die Fähigkeit des Menschen, sich die Dimension der Zukunft zu erschließen und sie zu reflektieren. Joachim Bauer erklärt: „Keine andere Spezies ist dazu in einem derartigen Ausmaß wie der Mensch in der Lage.“ Diese Fähigkeit schließt sowohl die Hoffnung als auch die Erwartung künftigen Unheils, einschließlich der Möglichkeit, entsprechende Vorsorge zu treffen, mit ein. Der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Joachim Bauer lehrt an der Universität Freiburg.

Menschen haben ein Bedürfnis nach Zukunft

Diese Fähigkeit zur Antizipation ist jedoch weit mehr als eine elegante kognitive Kapazität. Im menschlichen Sozialleben haben mentale Antizipationen einen tatsächlichen Einfluss auf das, was kommen wird. Joachim Bauer erläutert: „Dies liegt darin, dass Pläne, die wir für eine zukünftige Entwicklung entwerfen, in gesellschaftlichen beziehungsweise sozialen Situationen manchmal wie Attraktoren wirken und dem künftigen Geschehen sozusagen den Boden bereiten.“ Darüber hinaus können Antizipationen aber eine unmittelbare Wirkung auf die Psyche und den Körper des Einzelnen haben.

Menschen haben nicht nur die Kompetenz, über ihre Zukunft nachzudenken, sie haben auch ein Zukunftsbedürfnis. Wo dieses Bedürfnis nicht genährt, sondern missachtet oder zerstört wird, kommt es zu einem Erlahmen, manchmal auch zu einem Zusammenbruch der psychischen und biologischen Vitalität. Deutlich sichtbar wird dies an Kindern und Jugendlichen, denen keine Perspektive der Entwicklung und damit keine Zukunft aufgezeigt werden. Das Wissen über eine persönliche Zukunft ergibt sich für einen Menschen einzig und allein aus den Ansagen, die ihm durch andere gemacht werden.

Alle Menschen brauchen eine Entwicklungsperspektive

Das menschliche Gehirn macht aus sozialen Erfahrungen Biologie. Mit einem Kind über Freundlichkeit, Zutrauen und Hoffnung über dessen Zukunft zu sprechen, ist daher alles andere als heiße Luft. Leider tun das Eltern, Pädagogen oder Mentoren viel zu selten oder gar nicht. Das ist eine sträfliche Unterlassung. Wenn Kinder oder Jugendliche bereit sind, sich in der Schule oder im Rahmen ihrer Ausbildung Anstrengungen zu unterziehen, dann um der ihnen aufgezeigten Zukunftsperspektive willen.

Joachim Bauer kritisiert: „Viele junge Menschen bekommen a priori keine persönliche Zukunft aufgezeigt. Anderen zerstört man die Perspektive dadurch, dass sie trotz der gezeigten Anstrengungen keine positiven Rückmeldungen erhalten.“ Auf die Frustration ihrer Zukunftsbedürfnisse reagieren Kinder und Jugendliche mit Aggression, Depression und Suchttendenzen. Ein Zukunftsbedürfnis haben nicht nur jungen Menschen, sondern auch Erwachsene. Alle brauchen, um vital und gesund zu bleiben, eine Entwicklungsperspektive. Quelle: „Selbststeuerung“ von Joachim Bauer

Von Hans Klumbies

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