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Freuds Texte gleichen heiligen Schriften

Die Psychoanalyse ähnelte in ihren Anfängen eher einer Ideologie oder den traditionellen Religionsgemeinschaften. Sigmund Freud verteilte Ringe an seine engsten und wichtigsten Jünger wie Bischofsringe. Er exkommunizierte seinen Meisterschüler C. G. Jung und seine Texte werden mitunter noch heute wie heilige Schriften verehrt. Manfred Lütz weiß: „Freud selbst wandte die Psychoanalyse nicht nur auf Patienten an, sondern machte daraus eine anregende Lehre über Gott und die Welt.“ All das führte und führt bei weniger erleuchteten Anhängern der Psychoanalyse nicht selten dazu, psychoanalytische Deutungen als Wahrheiten anzusehen. Doch das sind sie nicht. Obwohl Sigmund Freud selbst die Seelenvorgänge am liebsten neurologisch, also körperlich erklärt hätte, lieferte er in Wirklichkeit mehr oder weniger plausible Bildbeschreibungen, die in einem Gespräch mit Patienten unter bestimmten Voraussetzungen eine heilsame Wirkung entfalten können. Dr. med. Dipl. theol. Manfred Lütz ist Psychiater, Psychotherapeut, Kabarettist und Theologe.

Das Geschehen zwischen Patient und Therapeut ist dynamisch

Träume und freie Assoziationen im freischwebenden Sprechen des Patienten auf der psychoanalytischen Couch spülen unbewusste Elemente ins bewusste Reden und werden dann durch den Analytiker gedeutet. Dabei spielt die Assoziation zwischen gegenwärtigen Phänomenen und ungelösten Konflikten der frühen Kindheit eine wichtige Rolle, aber auch das dynamische Geschehen zwischen Patient und Therapeut. Die im Dialog mit dem Analytiker erlebte tiefe Einsicht des Patienten in seine Symptomatik ist der entscheidende heilende Faktor.

Manfred Lütz stellt fest: „Viele andere psychoanalytische oder tiefenpsychologische Methoden gehen ebenfalls auf diese Grundlagen zurück, so natürlich die Analytische Psychologie C. G. Jungs, die individualpsychologische Alfred Adlers, in gewisser Weise auch die sogenannten humanistischen wie die Gestalttherapie Fritz Pearls, das Psychodrama nach Moreno und manches andere.“ Neuerdings hat die „mentalisierungsbasierte Therapie“ nach Peter Fonagy Aufsehen erregt, bei der der Patient lernt, sich selbst und den Therapeuten durch die gegenwärtige Beziehung besser zu verstehen.

Die Psychoanalyse wird zur Geisteswissenschaft

Auch all diese Methoden liefern keine Wahrheiten. Sie sind, wie alle therapeutischen Methoden, bloß mehr oder weniger nützlich. Da war es ernüchternd, als sich herausstellte, dass nützliche Effekt bei der Psychoanalyse weniger gut nachweisbar sind als bei anderen Methoden. Klassische Psychoanalytiker von der ideologischen Sorte störte das nicht weiter, denn die „Wahrheit“ ist durch mangelnden Effekt natürlich nicht widerlegbar. Doch klügere Vertreter ihres Faches erkannten die Gefahr, die der Psychoanalyse hier drohte.

Sie überwanden die alten wissenschaftstheoretischen Probleme, konzipierten die Psychoanalyse neu und korrekt als Geisteswissenschaft und begannen mit Effizienzstudien. Manfred Lütz fügt hinzu: „Zwar blieben auch sie, selbst im Widerspruch, auf manchmal rührende Weise dem Übervater Freud verbunden.“ Ein entscheidendes Problem blieb die Konzentration auf die Vergangenheit und dabei insbesondere auf die Kindheit des Patienten.“ Am klugen Umgang mit diesem Aspekt kann man gute von schlechten Analytikern unterscheiden. Quelle: „Neue Irre“ von Manfred Lütz

Von Hans Klumbies

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