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Keiner hat ein Recht auf schnelles Glück

Würde jeder Mensch „eudaimonia“ – sprich Glückseligkeit – statt schnelles Glück anpeilen, gäbe es weniger Neid, weniger Streit, weniger Hass, weniger tödliche Waffen, weniger Unglück. Langsames Glück würde sich konstant vermehren, bis hin zum Weltfrieden. Rebekka Reinhard weiß: „So verlockend diese Aussicht ist, so schwer fällt es dem Menschen, ihr zu folgen. Denn der Mensch ist ungeduldig. Und ziemlich borniert. Seit den Punischen Kriegen hat er wenig dazugelernt.“ Der Mensch glaubt allen Ernstes, er habe ein Recht auf schnelles Glück – und könne zwischendurch mal eben so tun, als sei er tugendhaft. Wenn es die Konventionen erfordern, vor allem aber dann, wenn es ihm selbst in den Kram passt. Rebekka Reinhard ist Chefredakteurin des Magazins „human“ über Mensch und KI. Unter anderem ist sie bekannt durch den Podcast „Was sagen Sie dazu?“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft wbg.

Jeder kann für fünf Minuten ein guter Mensch sein

Vortäuschen und Antäuschen von Tugendhaftigkeit ist überaus beliebt. Rebekka Reinhard ergänzt: „Moralheucheln geht schnell, spart Kosten, dient dem Ego und bauchpinselt die eigene Schwäche. Auf Instagram und LinkedIn ist jeder ein moralischer Held.“ Jeder hat eine zielgruppenspezifisch angepasst singuläre Haltung, die sie mitsamt wirkmächtigen Hashtags lautstark nach außen trägt. Wenn alle so „gut“ sind, warum ist die Welt dann so „schlecht“? Die effektvoll gestreute, nach Marketingkriterien genormte Proklamation moralischer Werte macht noch keine Ethik.

Im Gegenteil. Zwischen echter Güte und „Virtue Signalling“ –, sprich Tugendprotzerei – zwischen Tun und Sagen klafft ein Abgrund, so tief und weit wie der Grand Canyon. Es ist kinderleicht für fünf Minuten ein guter Mensch zu sein. Rebekka Reinhard nennt ein Beispiel: „Als nach Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine Hunderttausende nach Deutschland flüchteten, halfen alle mit Sachspenden oder gar Unterbringung in den eigenen vier Wänden. Wenige Monate später war die Euphorie verflogen.“

Das langsame Glück ist nur Zentimeter von jedem Menschen entfernt

Dass Helfen schnelles Glück erzeugt, weil es das Belohnungssystem des Gehirns anspricht, weil Dopamin, Serotonin und Oxytocin freigesetzt werden, darauf weist die Neurobiologie hin. Rebekka Reinhard fügt hinzu: „Dass individuelle Sorgen schnell mal das universelle humanitäre Commitment verdrängen können ist auch wahr.“ Wirkung: schlechte Laune, Verlust des schnellen Glücks, Vergessen des langsamen Glücks. Das langsame Glück ist nur Zentimeter von jedem Menschen entfernt.

Sie sehen es allerdings nur im Zustand absoluter Konzentration. Nur wenn sie aufhören, tausend Dinge gleichzeitig zu bedenken und durch Denken kontrollieren zu wollen. Der Fokus auf das Hier und Jetzt ist entscheidend. Er lässt diese Glücksart in ihrer ganzen Pracht erstrahlen, so sehr, dass niemand mehr sie ignorieren kann. Das wahrhaft Gute ist banal. Alltäglich. Immer schon da. Rebekka Reinhard betont: „Ich glaube, das Gute besteht in der Kunst zu handeln, bevor man eine Situation rational verstehen kann.“ Quelle: „Die Kunst gut zu sein“ von Rebekka Reinhard

Von Hans Klumbies

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