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Jeder sollte seine Bitterkeit begraben

Woher kommt die Bitterkeit? Vom Leiden und der verschwundenen Kindheit, sagen viele Menschen sogleich. Cynthia Fleury fügt hinzu: „Seit der Kindheit spielt sich etwas mit dem Bitteren und dem Realen ab, das unsere heile Welt sprengt.“ Man muss das Bittere begraben. Und darauf wächst etwas anderes. Kein Boden ist jemals für immer verflucht: eine bittere Fruchtbarkeit, die das künftige Verständnis begründet. Das Bittere begraben oder sich ihm stellen, diese Frage ist nicht wirklich wichtig. In der Klinik, mit den Patienten, tut Cynthia Fleury das eine und das andere, eines nach dem anderen, das eine trotz des anderen. Die Philosophin und Psychoanalytikerin Cynthia Fleury ist unter anderem Professorin für Geisteswissenschaften und Gesundheit am Conservatoire National des Arts et Métiers in Paris.

Die Psychoanalyse ist therapeutisch wie politisch

Auch in der Klinik gibt es immer einen Rest, als ob das Unheilbare bestehen bliebe, aber es gibt den Stand, in dem sich die Gesundheit der Seele erholt. Und die Herausforderung für den Analysanden besteht darin, ihn zu verstärken. Viele sagen: Jeder Mensch kennt das Ressentiment, und ein Übel, das so weit verbreitet ist, kann weder für das Individuum noch für die Gesellschaft so schlimm sein. Cynthia Fleury ist wie Cornelius Castoriadis, ein Philosoph und Psychoanalytiker, der Auffassung, dass es in der Fähigkeit, zu ihrem eigenen Ressentiment auf Distanz zu gehen oder nicht, zwischen den Menschen einen radikalen Unterschied gibt.

Cynthia Fleury erläutert: „Auch wenn jeder Mensch es kennen kann, wird nicht jeder Mensch zum Ort seiner Verfestigung. Ganz im Gegenteil trennt sich das Schicksal der Menschen hier, wie auch das Schicksal der Gesellschaften.“ In der Entfremdung kann sich kein Mensch am Aufbau einer gemeinsamen Welt beteiligen, die nicht die Verkörperung eines Verdinglichungsprozesses wäre. Das Schicksal der Psychoanalyse ist ebenso therapeutisch wie politisch.

Man darf sich selbst und die anderen nicht als Ding betrachten

Cornelius Castoriadis schreibt: „Die heutige Macht verdinglicht den anderen; alles, was ich will, geht genau in die gegengesetzte Richtung. Wer in den anderen Dings sieht, ist selbst eines; ich dagegen will kein Ding sein und die anderen auch nicht zu solchen machen; ich wüsste nicht, was ich damit sollte. Wenn ich für die anderen existiere und von ihnen anerkannt werde, soll das nicht vom Besitz einer äußeren Sache abhängig sein – der Macht, noch möchte ich für die anderen nur im Imaginären existieren.“

Cornelius Castoriadis zeichnet das bekannte erbärmliche Bild der Dynamik der Verdinglichung, die sowohl die Gesellschaft als auch die intimsten Beziehungen gestaltet. Denn sie sind untrennbar mit den in den Individuen vorhandenen Triebkonflikten verbunden. Die Herausforderung ist auf der individuellen und auf der gesellschaftlichen Ebene die gleiche: den anderen und sich selbst nicht als Ding zu betrachten. Denn dann wird sich der kollektive Mechanismus Ressentiments verfestigen. Quelle: „Hier liegt Bitterkeit begraben“ von Cynthia Fleury

Von Hans Klumbies

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