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Grausamkeit macht den anderen zur Beute

Wolfgang Müller-Funk stellt fest: „Die These, dass es sich bei der Grausamkeit um einen Selbst-Kulturalisierungseffekt handelt, enthält ein erhebliches Irritationspotenzial.“ Sie widerspricht der Vorstellung einer ursprünglichen Gewaltsamkeit des Menschen und begreift diese als ein prekäres Ergebnis kulturellen Fortschritts. Jenes Abstraktum namens „Menschheit“ hat zum ersten Mal in seiner Geschichte in Gestalt durchaus mundaner „Hochkulturen“ Macht und Gewalt großräumig und zum Teil auch dauerhaft etabliert und organisiert. Für Walter Benjamin ist „Barbarei“ stets im Spiel, wo es um Triumpf und Herrschaft geht. Grausamkeit ließe sich sagen, ist jenes Moment, das den Anderen zur Beute und damit zum Vorzeigeobjekt, zum Fetisch absoluter Macht oder auch vollständiger Unterwerfung macht. Wolfgang Müller-Funk war Professor für Kulturwissenschaften in Wien und Birmingham und u.a. Fellow an der New School for Social Research in New York und am IWM in Wien.

Es gibt eine spezifisch männliche Disposition zur Grausamkeit

Dabei ist nicht zu übersehen, dass die westliche Kultur die kultivierte Grausamkeit gern auf andere, orientalische Kulturen verschoben hat. Die Ansicht, wonach insbesondere der kultivierte Mensch ohne Ausnahme zur Grausamkeit fähig ist, bedeutet eine psychologische Zumutung, eine politische Herausforderung, aber auch eine theoretische Mutprobe. Die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Kathleen Taylor meint: „Die Menschen sind erschreckend kreativ, wenn es darum geht, andere Menschen zu schlagen und zu töten.“

Grausamkeit hat zwei Gesichter, ein subjektives und ein objektives, die oft sublime und unsichtbare Intention und das brutale Faktum, der physische und psychisch zugerichtete Mensch. Wolfgang Müller-Funk fügt hinzu: „Darüber hinaus sind die Diskurse der Grausamkeit von oft stummen intentionalen Gewaltakten zu unterscheiden.“ Statistiken legen nahe, dass es eine spezifisch männliche Disposition zur Grausamkeit gibt. Dabei taucht wie von selbst die Frage auf, ob diese universal und biologisch verankert oder die Folge bestimmter soziokultureller Machtstrukturen ist.

Grausamkeit ist der Inbegriff allen menschlichen Übels

Für Kathleen Taylor ist Grausamkeit der Inbegriff allen menschlichen Übels, dem freilich kaum beizukommen sei. Eine weitere These von Kathleen Taylor betont den strategisch-rationalen Charakter von leidvoller Tötung: „Die Täter wissen genau, was sie tun.“ Die Wissenschaftlerin bringt das in einen generellen Zusammenhang, wenn sie davon spricht, dass Grausamkeit im Großen und Ganzen nicht von Verrückten oder „natürlichen“ Bösewichten begangen werden.

Grausames Verhalten sei rational, es entspringt aus kalkulierten Operationen. Zum Zeitpunkt der Tat scheint es für die Täter vorteilhaft, den Anderen zu quälen. In einer bestimmten Situation kann jeder der Täter sein. Außerdem betrachtet Kathleen Taylor sprachliche neben handgreiflicher Aggression selbst als gewaltsamen Akt. Heutzutage gibt es diverse Verbotstechniken, die unter dem Stichwort einer politischen Korrektheit firmieren. Diese zielen darauf ab, aggressive Ausdrücke als auch Formeln zu verbieten und damit auf eine höchst illusorische Weise aus der Welt schaffen zu wollen. Quelle: „Crudelitas“ von Wolfgang Müller-Funk

Von Hans Klumbies

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