Eyal Winter unterscheidet zwischen autonomen und sozialen Emotionen
Emotionen bilden einen Mechanismus, der Menschen dazu befähigt, Entscheidungen zu treffen. Sie wurden im Lauf der Evolution geformt und entwickelt, um die Überlebenschancen des Menschen zu verbessern. Eyal Winter fügt hinzu: „Die Menschheit verfügt neben den Emotionen über einen weiteren wichtigen Mechanismus, der uns bei der Entscheidungsfindung hilft, nämlich die Fähigkeit zur rationalen Analyse.“ Im Gegensatz zu Gefühlen wie Angst, Betrübtheit und Bedauern, die als autonome Emotionen bezeichnet werden können, sind Gefühle wie Wut, Neid, Hass und Mitgefühl soziale Emotionen. Sie sind per Definition interaktiv. Wut oder Mitleid empfindet ein Mensch gegenüber anderen; Bedauern dagegen empfindet er über eigene Handlungen. Die Unterscheidung zwischen autonomen und sozialen Emotionen ist besonders wichtig, um den Begriff der „klugen Gefühle“ zu verstehen. Eyal Winter ist Professor für Ökonomie und Leiter des Zentrums für Rationalität an der Hebräischen Universität von Jerusalem.
Mit dem Begriff „Commitment“ wird ökonomisches Verhalten analysiert
Eyal Winter erläutert: „Autonome Emotionen beeinflussen unsere eigenen Entscheidungen, während soziale Emotionen sowohl unsere eigenen Entscheidungen als auch die anderer Menschen beeinflussen.“ Dies führt zum zentralen Element im Bezugssystem der Emotionen, nämlich ihrer Fähigkeit, Bindungen beziehungsweise Selbstbindungen entstehen zu lassen, im eigenen selbst und in anderen. „Commitment“ gilt inzwischen als einer der wichtigsten Begriffe in den Sozialwissenschaften. Er wird weitgehend herangezogen, um ökonomisches Verhalten zu analysieren.
Der Begriff „Commitment“ wurzelt in der Auffassung, dass bei einem Konflikt zwischen zwei Individuen derjenige einen Vorteil erzielt, der seinem Gegenüber glaubhaft vermitteln kann, dass er auf einen bestimmten Ausgang beharren wird – sogar um den Preis, sich dabei selbst zu schaden. Eyal Winter betont: „Eine Grundregel des Commitment lautet folgendermaßen: Wer sich auf einen Standpunkt festlegen will, muss wirklich bereit sein, das nötige Opfer zu bringen. Erklärungen allein reichen nicht.“
Durch Emotionen kann man in Konflikten des Alltags Verhandlungsdruck ausüben
Wahres Commitment lässt sich nur schwer vortäuschen. Könnte man dem anderen leicht etwas vormachen, wären Drohungen umso alltäglicher und würden nicht mehr ernst genommen. Die erbitterte Gewalt, die fanatische religiöse Bewegungen und Nationen ausstrahlen können, beruht auf deren Bereitschaft, glaubwürdige Selbstverpflichtungen einzugehen. Die Bereitwilligkeit, das eigene Wohl und sogar Menschenleben für eine religiöse Idee zu opfern, ist eine starke Kraft, die diesen Bewegungen und Nationen wirksame Druckmittel liefert.
In der heutigen Zeit sind Emotionen ein wertvolles Instrument, um in einer Vielzahl alltäglicher Konflikte Verhandlungsdruck ausüben zu können. Wer beispielsweise seinem Ärger Ausdruck verleiht, zeigt, dass er bereit ist, Verletzungen oder Kränkungen scharf entgegenzutreten, sogar wenn er sich dabei selbst Schaden zufügt, indem er etwa einen Faustkampf anzettelt. Wäre ein Mensch ausschließlich rational, könnte er seine Gegner nicht so leicht abschrecken. Quelle: „Kluge Gefühle“ von Eyal Winter
Von Hans Klumbies