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Autorität gründet auf nichts als Gewohnheit

Ein strenger, aber gerechter Supervater ist ein Produkt der menschlichen Phantasie. Er dient als Gegenentwurf zur stets enttäuschenden Wirklichkeit. Die Qualitäten der Väter wachsen insbesondere nach ihrem Tod. Nach und nach vergisst man ihre üblen Angewohnheiten und überhöht ihre positiven Charakterzüge. Paul Verhaeghe ergänzt: „So werden sie letztlich zu Figuren, die sie in Wirklichkeit niemals waren.“ Daher heißt es nicht umsonst im Volksmund, dass man über die Toten nur Gutes sagen sollte. Ein Held muss vor allem eines sein: tot, das trägt gewaltig zur Idealisierung bei. Am auffälligsten an diesem Wunschtraum ist seine Überzeugungskraft. Sigmund Freud gibt dafür eine plausible Erklärung. Die meisten Menschen flüchten sich in eine Phantasiewelt, wenn die Realität unbefriedigend ist. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

Recht und Unrecht unterscheiden sich nach Ort und Zeit

Blaise Pascal, einer der brillantesten Denker Frankreichs stellt in seinem bekanntesten Werk „Pensées“, Gedanken, die Frage nach der Essenz des Rechts. Seine Antwort ist bis heute so schockierend wie erfrischend: Die Abgrenzung von Recht und Unrecht unterscheidet sich je nach Ort und Zeit; es gibt keine mystische Basis für Autorität, im Gegenteil sie basiert allein aus Gewohnheit: „Alles wankt mit der Zeit, die Gewohnheit macht alle Billigkeit dadurch, dass sie angenommen ist, das ist der geheimnisvolle Grund ihres Ansehens.“

Blaise Pascal fährt fort: „Wer sie auf ihr Prinzip zurückführt, vernichtet sie. Nichts ist so fehlerhaft wie die Gesetze, welche die Fehler gut machen; wer ihnen gehorcht, weil sie gerecht sind, gehorcht der Gerechtigkeit, die er sich einbildet, aber nicht dem Wesen des Gesetzes, es ist ganz in sich selbst gesammelt, es ist Gesetz und weiter nichts.“ Blaise Pascal macht hier Schluss mit dem Prinzip „streng, aber gerecht“, Schluss mit dem göttlichen Gesetz. Wer sich auf die Suche nach dem Ursprung von Recht und Autorität macht, um sie damit zu begründen, den erwartet laut Blaise Pascal eine herbe Enttäuschung.

Die Suche nach ihrem Ursprung untergräbt die Autorität

Es gibt seiner Meinung nach nichts zu begründen, denn je mehr man den Grund sucht, desto flüchtiger wird er. Blaise Pascal schreibt, dass eine Suche nach dem Ursprung die sicherste Art sei, Autorität zu untergraben. Der französische Denker kommt zu folgender Schlussfolgerung: „Diese Wahrheit – Autorität gründet auf nichts als Gewohnheit – sollte man besser nicht im gemeinen Volk verbreiten. Die braven Leute lässt man besser in ihrem Wahn, man lässt sie lieber in dem Glauben an das Authentische und Ewige des Gesetzes, das ist für alle am besten.“

Das ist im Grunde schon das, was später Paternalismus genannt wird. Nach dem Motto „Vater weiß es besser“ oder „Ich will nur dein Bestes“. Blaise Pascals Gedanke zeugt für Paul Verhaeghe von seltener Klarheit. Denn seit Menschengedenken ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass Autorität von einer göttlichen Instanz abgeleitet wird. Menschen schreiben Autorität einer vergöttlichten Figur zu; dann leiten sie ihre eigene Autorität aus dieser selbst erdachten Figur ab. Diesen Zirkelschluss findet man sowohl in den ältesten wie den bekanntesten Gesetzen wieder. Quelle: „Autorität und Verantwortung“ von Paul Verhaeghe

Von Hans Klumbies

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