Ganzheitliche Betrachtungen des Hasses
Die Hassforschung hat in den letzten Jahren einige bedeutsame Erkenntnisse geliefert. Neben den traditionellen philosophischen und psychoanalytischen Arbeiten hebt Reinhard Haller jene hervor, die sich um eine ganzheitliche Betrachtung bemühen: „Als besonders hilfreiches Beispiel seien die von den deutschen Forschern Rolf Haubl (Professor für Soziologie und Direktor des Sigmund-Freud Instituts in Frankfurt/Main) und Volker Caysa (Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Leipzig) erarbeiteten Bestimmungsmerkmale angeführt. In ihrem Werk „Hass und Gewaltbereitschaft“ (2007) zählen sie eine Reihe spezifischer Kennzeichen auf, die bereits ein recht komplexes Bild des Hasses ergeben. Prof. Dr. med. Reinhard Haller war als Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe über viele Jahre Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik. Heute führt er eine fachärztliche Praxis in Feldkirch (Österreich).
Intoleranz und Angst sind Kennzeichen des Hasses
Dazu zählen die beiden Wissenschaftler unter anderem die rationalisierte Entwertung des Hassobjekts. Durch diese Haltung wird dem gegenüber der der eigenen Person zugeschriebene Wert aberkannt. Reinhard Haller erläutert: „Durch Entwürdigung und Dämonisierung des gehassten Objekts werde der Hass geradezu sakralisiert, als ob es nicht nur den heiligen Zorn, sondern auch den heiligen Hass geben könnte.“ Ein weiteres Merkmal ist die Intoleranz. Dabei handelt es sich um die Überhöhung der eigenen Meinung und der Feindseligkeit gegenüber anders denkenden Menschen, verbunden mit Unduldsamkeit.
Intoleranz kann, wie zum Beispiel die Agitation mancher Gegner der Coronamaßnahmen zeigten, bis zum Fanatismus führen. Ein weiteres Kennzeichen ist die Angst. Reinhard Haller erklärt: „Diese Emotion ist ein wesentliches Element des Hasses. Denn mit diesem werden tief sitzende Befürchtungen und Zweifel übertönt, verdrängt und so zum Schweigen gebracht.“ Eindrucksvoll zeige sich dies bei hasserfüllten und gewaltbereiten Jugendlichen, die selbst eine Karriere als Gewaltopfer hinter sich haben und ihre ständige Angst vor Angriffen mit Hass unterdrücken.
Paranoides Misstrauen schürt den Hass
Gleichzeitig rechtfertigen diese Jugendlichen damit ihre Aggressivität und stärken den mit hasserfüllter Gewaltbereitschaft verbundenen schwachen Selbstwert. Zu den Merkmalen des Hasses zählt auch das paranoide Misstrauen. Mit dieser weit über eine gesunde Vorsicht hinausgehenden Haltung wird dem Hassobjekt unterstellt, keinerlei Vertrauenswürdigkeit zu besitzen und nur üble Pläne zu haben, weshalb es eine große Gefahr darstelle.“ Dazu passend gilt das paranoide Misstrauen als wichtiger Teil der Charakterstörung „maligner Narzissmus“.
Auch die heimliche Faszination gehört zu den Facetten des Hasses. Weil das Hassobjekt auf die Hassenden oft eine heimliche Faszination ausübt – sei es durch Identifikation mit dem scheinbaren Aggressor oder durch nicht erkannte Hassliebe –, entsteht oft eine Bindung, die dauerhafter als eine Liebesbeziehung sein kann. Ein ebenfalls außerordentlich wichtiges Bestimmungsmerkmal des Hasses sehen die beiden Wissenschaftler in der Haltung der Empathieverweigerung. Quelle: „Die dunkle Leidenschaft“ von Reinhard Haller
Von Hans Klumbies