Frustrierte Missgunst schlägt in Hass um
Erweckt der Neid das Gefühl, eine andere Person habe ihren Erfolg nicht verdient und müsse vom hohen Ross heruntergeholt werden, entsteht schwarzer Neid, der meist in Missgunst umschlägt. Reinhard Haller ergänzt: „Wenn jemand dann der anderen Person nicht das Wasser reichen kann und es gar nicht möglich ist, sie „zurechtzustutzen“, also abzuwerten, verdichtet sich die so frustrierte Missgunst in Hass.“ Der destruktive Neid ist also eine Hassquelle ersten Grades. Er ist Ursache für Feindschaften unter Geschwistern und Generationen, zwischen Partnern und Freunden, zwischen Gesellschaftsschichten und Völkern. Kinder beneiden andere, weil diese besser Schul- oder Sportleistungen erbringen, mehr Taschengeld und schönere Geschenke bekommen. Prof. Dr. med. Reinhard Haller war als Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe über viele Jahre Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik. Heute führt er eine fachärztliche Praxis in Feldkirch (Österreich).
Destruktiver Neid hat immer mit angeschlagenen Selbstbewusstsein zu tun
Zwischen Geschwistern entsteht oft eine lebenslange Feindschaft, weil einer dem anderen die bessere Heirats-Partie oder den ungerecht größeren Erbanteil missgönnt. Reinhard Haller fügt hinzu: „Der Neid wegen beruflicher, künstlerischer oder sportlicher Erfolge weckt Hass in den Herzen der Kollegen und Konkurrentinnen. Der in einer jahrhundertelangen Tradition entstandene, in das Grauen des Holocaust mündende Judenhass wurde durch Neid auf die vermeintlich Tüchtigeren, Wohlhabenderen, geschäftlich Geschickteren, Schlaueren, angeblich die Weltherrschaft an sich reißenden Juden geschürt.
Hass wird solange unter den Menschen sein, wie es ihnen nicht gelingt, den zur Grundausstattung der menschlichen Gefühlswelt gehörenden Neid in eine positive, motivierende und konstruktive Form umzuwandeln – was durchaus im Bereich des Möglichen liegt. Reinhard Haller erläutert: „Destruktiver Neid hat aber immer – dies wird allgemein zu wenig bedacht – mit angeschlagenen Selbstbewusstsein zu tun, weil dadurch die Blick auf die eigenen Stärken und Erfolge verloren geht.“
Die Eifersucht ist Liebe plus Hass
Zudem wäre bei gutem Selbstbewusstsein die innere Zufriedenheit mehr von sich selbst als von äußeren Umständen abhängig. Reinhard Haller erklärt: „Zur Überwindung des zu Hass führenden destruktiven Neides schlägt man in der Psychotherapie vier Schritte vor: Den Neid nicht unterdrücken oder abwehren, sondern wahrnehmen und analysieren. Missgunst in positiven Neid umwandeln. Unrealistische Vergleiche unterlassen. Den Blick für die eigenen Stärken und Möglichkeiten schärfen.“
Es gilt, destruktiven Neid entweder gar nicht erst zuzulassen oder ihn zu bewältigen. Denn „der Neid, der keinen Weg sieht, begibt sich auf den einzigen Ausweg: ins Verbrechen“, sagt Erich Kästner (1899 – 1974). Er meint damit wohl das Hassverbrechen. Eifersucht wird dagegen als ein quälender Gefühlsmix aus Verunsicherung, Angst vor Liebesentzug, Gekränktheit, Enttäuschung, Hilflosigkeit, Rachebedürfnissen, Wut und Hass empfunden. „Liebe sieht scharf. Hass sieht schärfer. Eifersucht sieht am schärfsten, denn sie ist Liebe plus Hass.“ Mit seinem aus Arabien stammenden Aphorismus wird das Wesen der Eifersucht sehr genau beschrieben. Quelle: „Die dunkle Leidenschaft“ von Reinhard Haller
Von Hans Klumbies