Viele Menschen fürchten sich vor der Freiheit
Erich Fromm ist der Meinung, dass die Psychologie von einem expliziten Begriff der menschlichen Natur ausgehen muss. So kann er die Feststellung wagen, dass der Mensch auf Freiheit hin angelegt ist; aber ob und wie er diese Freiheit verwirklicht, hängt sehr von individuellen und gesellschaftlichen Gegebenheiten ab. Dasselbe gilt auch für die Individualität oder das menschliche Einzeldasein. Der Mensch ist etwas unverwechselbar Einmaliges, aber er kann dieses Individuelle verleugnen oder verdrängen, da er sich möglicherweise vor der sozialen Isolation und vor der Verantwortung fürchtet. Erich Fromm unterscheidet zwischen primären und sekundären Bindungen, um die Problematik von Individualität und Freiheit zu veranschaulichen.
Der Mensch verleugnet seine Bedeutungslosigkeit
Zunächst ist das Kind innerhalb der Familie symbiotisch geborgen. Nach Erich Fromm zieht sich durch die ganze Geschichte hindurch die Tendenz des Menschen, im Kollektiv unterzutauchen, um das Geschenk des Freiseins irgendwie loszuwerden. Vor allem der moderne Produktionsprozess fördert die menschliche Entfremdung, worauf schon Karl Marx und seine Schüler hingewiesen haben. Der Mensch ist in einer ungeheuren Maschinerie eingespannt, die er weder verstehen noch überblicken kann. Von daher erfährt das Individuum seine grenzenlose Bedeutungslosigkeit, über die es sich gerne hinwegtäuscht. Er greift zu so genannten Fluchtmechanismen, die die Funktion haben, die Angst und die Isolation zuzudecken.
Der Masochist fühlt seine Bedeutungslosigkeit
Erich Fromm unterscheidet drei Fluchtmechanismen, nämlich die autoritären Tendenzen, den Zerstörungstrieb sowie die automatische Anpassung. In allen drei Fällen besteht die große Verwirrung darin, dass die „Freiheit von“ nicht durch eine sinngemäße „Freiheit zu“ ergänzt wird. Allein durch die Wahl positiver Freiheitsziele kann man der Gefahr entgehen, sekundäre Bindungen aufzubauen, die zu einem individuellen und kollektiven Kerker werden.
Laut Erich Fromm ist der Autoritarismus oder Sadomasochismus kein sexuelles Phänomen, wie die Psychoanalyse vermutete, sondern eine Haltung des Charakters, die auf der Angst vor dem Selbstsein beruht. Der Masochist fühlt seine wirkliche oder vermeintliche Bedeutungslosigkeit und will sich von einem stärkeren Individuum oder einem Kollektiv abhängig machen, an deren Stärke er teilzunehmen wünscht
Masochisten und Sadisten sind wesensverwandt
Der Sadist dagegen sucht Gottähnlichkeit, indem er Menschen wie Dinge behandelt, mit Gewalt über sie verfügt und sie zu entwürdigen trachtet. Schon Sigmund Freud hat darauf aufmerksam gemacht, dass Masochisten und Sadisten Wesensverwandte sind. Nach Fromm hat der moderne Mensch viel zu wenig Möglichkeiten, um aus sich selbst heraus ein produktives Leben zu führen.
Gerade in der heutigen Zeit besteht ein enormer Druck zur automatischen Anpassung, dem sich die Menschen nur schwer entziehen können. Jedermann meint zwar, er sei er selbst – aber in Wirklichkeit sind sein Denken, sein Fühlen und Verhalten fast durchgehend normiert und die gesellschaftlichen Anteile im Individuum bestimmen darüber, was es für wahr, für wertvoll und für schicklich halten soll.
Von Hans Klumbies