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Selbstjustiz ist eine Form der Rache

Als Selbstjustiz bezeichnet man die gesetzlich nicht zulässige Vergeltung erlittenen Unrechts, welche Betroffene selbst ausüben. Reinhard Haller fügt hinzu: „Die Durchsetzung streitigen Rechts wird also nicht dem Staat oder anderen höheren Mächten überlassen, sondern selbst übernommen.“ Gründe für Selbstjustiz, die man nicht mit Selbsthilfe oder Notwehr verwechseln darf, sind mangelndes Vertrauen in die Justiz, Befürchtung zu milder Strafen und Unzufriedenheit mit dem Urteil. Erich Fromm liefert eine tiefenpsychologische Erklärung für die Anziehungskraft der Selbstjustiz. Bei dieser Form von Rache handle es sich um einen „magischen Akt“. Wenn man den Schädiger vernichtet, so werde seine Tat damit auf magische Weise gleichsam ungeschehen gemacht, er habe dann seine Schuld bezahlt. Prof. Dr. med. Reinhard Haller war als Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe über viele Jahre Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik. Heute führt er eine fachärztliche Praxis in Feldkirch (Österreich).

Selbstjustiz ist auch heute noch gang und gäbe

Das Verlangen nach dieser magischen Wiedergutmachung resultiere aus dem elementaren Gerechtigkeitsempfinden. Im Menschen sei das Gefühl für die existenzielle Gleichheit aller Menschen tief verwurzelt, denn „wir sind ja alle von Müttern geboren, wir alle waren einmal machtlose Kinder und wir alle werden sterben.“ Selbstjustiz ist auch heute noch gang und gäbe, nicht nur in sogenannten „primitiven“ Kulturen. In der Schweiz drohten Bergbauern vor der Abstimmung über das neue Jagdgesetz im Herbst 2020 mit Selbstjustiz und sollen diese – so hört man inoffiziell – an den ihre Schafe reißenden Wölfen auch heimlich vollzogen haben.

Als „Lynchjustiz“ wird die zumeist grausame Tötung oder Misshandlung eines Menschen wegen einer tatsächlich begangenen oder nur behaupteten Straftat durch eine aufgebrachte Menschenmenge ohne Einbeziehung der zuständigen Justiz bezeichnet. Reinhard Haller erläutert: „Als Namensgeber gilt Charles Lynch (1736 – 1756), ein Richter und Revolutionär, welcher im Unabhängigkeitskrieg grauenhafte Urteile aussprach.“ Diese tief in der amerikanischen Mentalität verankerte Unrechtsform hat ihren Ursprung im Zusammenschluss von Bürgern während der Westexpansion.

Von der Lynchjustiz waren überwiegend Afroamerikaner betroffen

Im Jahr 1851 hieß es in einer Bekanntmachung in Kalifornien, dass sich mehrere aufrechte Bürger „für die Aufrechterhaltung des Friedens und der guten Ordnung der Gesellschaft“ zusammengetan hätten, um Diebe, Räuber, Brandstifter oder Mörder daran zu hindern, „durch Spitzfindigkeiten des Gesetzes, die Unsicherheiten von Gefängnissen, die Gleichgültigkeit oder Korruption der Polizei ungerächt davonzukommen.“ Erst 2018 wurde in den USA der „Justice for Victims of Lynching Act“ zum Hassverbrechen erklärt, nachdem der Senat in den 100 Jahren zuvor über 200 Gesetzesvorschläge abgelehnt hatte.

Lange Zeit verteidigten die Gegner das Lynchen mit dem Argument, es helfe ihrer Meinung nach, die Rassen getrennt zu halten und die Gefährdung weißer Frauen durch Farbige hintanzuhalten. Reinhard Haller weiß: „Nach den Berechnungen von Hilfsorganisationen seien in den Jahren zwischen 1882 und 1984 mindestens 4.745 Menschen der Lynchjustiz zum Opfer gefallen, dies bei hoher Dunkelziffer.“ Überwiegend waren Afroamerikaner betroffen, die von aufgebrachten Menschenmengen gehängt wurden. Quelle: „Rache“ von Reinhard Haller

Von Hans Klumbies

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